Die Verdammten: Endzeit-Thriller (German Edition)
ihren kalten, dunklen Augen hätte sie gesehen, wie Josephine zusammenzuckte und aufblickte, während die Worte in einem grollenden Donnerschlag an ihre Ohren drangen. Hätte die Welt ein Gesicht gehabt, sie hätte gelächelt, als Josephine langsam die Axt senkte und ihre Tränen abwischte. Hätte die Welt eine Seele gehabt, sie hätte Josephines Unentschlossenheit verstanden, als ihr Blick zur Vordertür der Kirche wanderte, zu dem Tor, das hinaus in den Dschungel führte, und schließlich durch den Innenraum der Kirche: diesen riesigen Raum, befreit von Kletterpflanzen, Farnen und Bäumen. Und hätte die Welt weinen können – und tatsächlich stand sie ganz kurz davor –, sie hätte Tränen vergossen, denn Josephine legte die Axt ab, sank mit ihrem erschöpften Körper zu Boden, schloss die Augen und versank im Schlaf der Hoffnungslosen.
Fünf
Nick war zwar definitiv kein Experte, was die Gewohnheiten der Baumbewohner betraf, aber an diesem Morgen kam ihm der Stamm ungewöhnlich geschäftig vor.
Nick stand in der Mitte des Käfigs und beobachtete, wie die Männer von Hütte zu Hütte und über die diversen wackeligen Brücken hasteten, die sich zwischen dem runden Dutzend Bäumen spannten, die Leitern hinauf und hinunter, die die beiden Ebenen der Siedlung miteinander verbanden. Die meisten trugen einen abwesenden Ausdruck auf dem Gesicht: eine Mischung aus Nervosität und Aufregung, und fast alle hatten unterschiedliche Waffen bei sich, darunter auch selbst geschnitzte Speere sowie Pfeil und Bogen.
»Sieht aus, als bereiten sie sich darauf vor, in eine Schlacht zu ziehen«, bemerkte Scott.
Scott war vor einer Weile als einer der ersten Gefangenen aufgewacht. Auch einige der anderen Gefangenen hatten inzwischen die Augen geöffnet. Eine Frau und ein Junge im Teenageralter pressten sich an die Gitterstäbe und beobachteten, wie ihre Häscher wie in einem Ameisenhaufen hin und her wuselten, während ein Mann um die 40 in einer Ecke hockte und den Inhalt seines Darms durch die Lücke zwischen zwei Baumstämmen entleerte. Alle anderen schliefen noch.
»Sieht auf jeden Fall ganz danach aus«, kommentierte die Frau.
»Ich frag mich, gegen wen sie kämpfen wollen«, meldete sich der Junge.
»Müssen irgendwelche Tunnelbewohner sein«, erwiderte Scott. »Sie würden ganz sicher nicht freiwillig ein Löwenrudel angreifen. Es sei denn, sie haben Wind davon bekommen, dass ein Rudel in der Nähe einen Angriff auf sie plant, und bereiten sich jetzt schon auf die Schlacht vor.«
»Aber Löwen greifen normalerweise keine Baumbewohner an, allenfalls, wenn sie sich am Boden aufhalten«, gab der Junge zu bedenken.
»Stimmt«, pflichtete Scott bei.
»Vielleicht greifen sie ja ein Lager mit Überlebenden an«, meldete sich der Mann aus der anderen Ecke.
Bei den nassen, wässrigen Geräuschen und dem fauligen Geruch, die von dem Mann ausgingen, drehte sich Nick der Magen um, und er musste beinahe würgen.
»Durchaus möglich«, antwortete Scott.
Nick musste an die letzte Nacht zurückdenken, an die brennenden Lichter in einigen Hütten. Seine Hoffnung, dass die Baumbewohner über die Überlebende gesprochen hatten, die ihnen entkommen war, zerschlug sich. Nun wusste er, dass sie über den bevorstehenden Angriff – oder ihre Verteidigung – diskutiert hatten. Das bedeutete wiederum, dass Josephine entweder die Flucht gelungen war und sich die Baumbewohner nicht allzu viel daraus machten oder dass sie längst nicht mehr lebte.
Die jüngeren Baumbewohner hüpften mit langem verfilztem Haar und geschmeidigen, groß gewachsenen Körpern in der Siedlung herum und wirkten genauso aufgeregt wie Kinder am Morgen der Bescherung. Einige sprangen von Ast zu Ast, während andere sich gegenseitig von einer Plattform zur nächsten jagten. Sie alle schienen den Erwachsenen, die ständig mit ihnen schimpften, im Weg zu sein. Ihre kindliche Begeisterung schien das jedoch nicht zu dämpfen.
Das eher ruhige Verhalten der Frauen stand in krassem Gegensatz zu der Aufregung und dem wuseligen Durcheinander, das die Kinder und Männer veranstalteten. Sie saßen entweder da und pflückten ekelhaftes Zeug aus den verknoteten Haaren der Kinder oder halfen den Männern bei diversen Aufgaben – allerdings mit entschieden weniger Lärm und Tumult.
Während Nick die Baumbewohner beobachtete, staunte er über die rasche Anpassung an ihre neue Lebensweise. Innerhalb weniger Jahre hatten sich die Menschen, die es vorzogen, ihren permanenten
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