Die Verfluchten
überlegte angestrengt. »Dann hat sich die Frage, wie lange wir uns hier aufhalten, ja wohl von selbst beantwortet«, sagte er
schließlich. »Kennst du einen kürzeren Weg zurück in dein Dorf?«
»Einen kürzeren Weg?«, erwiderte Meruhe leicht spöttisch. »Nein.«
»Vielleicht können wir sie einholen«, beharrte Abu Dun. »Unsere
Kamele sind schneller als ihre Pferde. Wenn wir das Risiko eingehen, sie zuschanden zu reiten, sind wir vielleicht vor ihnen dort.«
»Sie zuschanden zu reiten«, wiederholte Meruhe. Sie hatte sich bereits halb umgedreht, um weiterzugehen, blieb jetzt aber doch noch
einmal stehen und wandte sich zu dem Nubier um. Ein missbilligendes Stirnrunzeln erschien auf ihrem Gesicht. »Und sie damit zu töten,
meinst du?«
Abu Dun wirkte verwirrt. »Aber…«, begann er.
»Ist das deine Art, ihnen dafür zu danken, dass sie uns so treu bis
hierher gebracht haben?«, unterbrach ihn Meruhe.
Diese Worte verwirrten Abu Dun sichtlich. Einen Moment lang
rang er hilflos nach einer Entgegnung, dann erschien ein ärgerlicher
Ausdruck auf seinem Gesicht. »Wir reden hier über drei Kamele. Was soll der Unsinn? Ist das Leben der Menschen in deinem Dorf
nicht ein bisschen mehr wert?«
Andrej war sich sicher, dass sie wütend werden und Abu Dun anfahren würde, doch sie beließ es bei einem traurigen Kopfschütteln
und einem halblauten Seufzen. »Du musst noch viel lernen, Abu
Dun«, murmelte sie. »Noch sehr viel.«
Und damit wandte sie sich endgültig um, ergriff ihr Kamel beim
Zügel und ging mit schnellen Schritten los. Abu Dun warf Andrej
einen zutiefst verwirrten Blick zu, auf den dieser aber nur mit einem
ebenso hilflosen Achselzucken reagieren konnte. Er versuchte erst
gar nicht zu verstehen, was Meruhe damit gemeint hatte. Vielleicht
erlaubte sie sich ja nur einen Scherz mit dem Nubier, auch wenn er
das nicht glaubte.
Bevor Abu Dun jedoch eine Frage stellen oder auch nur seinem
Unmut durch eine Bemerkung Ausdruck verleihen konnte, ließ Andrej sein Kamel weiterlaufen, bis er zu Meruhe aufgeschlossen und sie
sogar ein kleines Stück überholt hatte. Mit einiger Mühe gelang es
ihm, das störrische Ungeheuer zum Anhalten zu bewegen, und mit
noch deutlich mehr Mühe sogar, einigermaßen würdevoll aus dem
Sattel zu steigen. Meruhe betrachtete ihn finster, aber er glaubte dennoch, tief in ihren Augen spöttisches Glitzern wahrzunehmen, das
ihn schon wieder halbwegs mit ihr versöhnte. In diesem Moment
hätte er sich fast gewünscht, dass sie seine Gedanken lesen würde,
doch wenn sie es tat, dann ließ sie sich nichts davon anmerken.
Auch Abu Dun schloss wenige Augenblicke später zu ihnen auf
und stieg aus dem Sattel; deutlich eleganter als Andrej gerade, und er
versäumte es natürlich auch nicht, ihm einen fast abfälligen Blick
zuzuwerfen, doch er sagte nichts, sondern ergriff sein Tier nun ebenfalls am Zügel und marschierte, zwar auf gleicher Höhe, dennoch
aber in gehörigem Abstand neben ihnen her.
Für eine Weile genoss Andrej das Gefühl, nicht mehr auf einem
schwankenden Kamelrücken zu sitzen, sondern auf seinen eigenen
Füßen zu stehen und festen Boden zu spüren, der nicht ununterbrochen hin und her wankte, auch wenn ihm das Gehen größere Mühe
bereitete, als er erwartet hätte. Der Umstand, dass der Schnitt auf
seiner Hand völlig verschwunden war und er auch wieder besser sehen und hören konnte, hatte ihn annehmen lassen, dass seine Kräfte
wieder vollkommen zurückgekehrt waren, doch anscheinend stimmte
das nicht. Sein Rücken schmerzte - ein Gefühl, das jeder Reiter zur
Genüge kannte, ihm selbst aber seit mehreren Menschenaltern abhanden gekommen war -, und er spürte jede Stunde, die er im Sattel
verbracht hatte, bis in die letzte Faser seines Körpers.
Andrej fragte sich, was wohl geschehen würde, würde er jetzt
schwer verletzt, aber er schrak vor der möglichen Antwort auf diese
Frage zurück. Selbst, wenn sie die Kamele gegen frische und ausgeruhte Tiere tauschten und ihren Weg nun schneller fortsetzen konnten, schauderte Andrej allein bei dem Gedanken an die Strecke, die
sie noch zurücklegen mussten.
Nun, wo sie abgesessen waren, schien der fruchtbare Uferstreifen
überhaupt nicht mehr näher zu kommen. Andrej verglich den Stand
der Sonne mehrmals mit dem Tempo, in dem sie sich bewegten, und
er kam jedes Mal zu dem gleichen Ergebnis, nämlich dem, dass sie
erst Stunden nach Sonnenuntergang das Ufer erreichen würden.
Er verstand nicht,
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