Die Verfluchten
zerstreuen«, erwiderte er. »Was ist los mit dir, Hexenmeister?
Seit wann bist du so naiv, alles zu glauben, was dir eine schöne Frau
erzählt? Ich jedenfalls traue ihr nicht.«
»Obwohl du weißt, wer sie ist?«
»Weiß ich das?« Abu Dun schüttelte verärgert den Kopf. »Nein, ich
weiß es nicht. Genauso wenig wie du, Andrej.«
»Aber ich habe dir doch erzählt…«
»… was sie dir erzählt hat, ja«, unterbrach ihn Abu Dun. Er machte
ein abfälliges Geräusch. »Sie ist keine Sterbliche, das habe sogar ich
gemerkt, stell dir vor. Aber ich weiß nicht, was sie wirklich ist, und
du weißt es auch nicht. Sie hat dir erzählt, sie wäre wie wir - nur älter?« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht stimmt das. Vielleicht
auch nicht. Sie wäre nicht die Erste, die nicht wie eine normale
Sterbliche ist, aber auch ganz und gar nicht so wie wir. Wer sagt dir,
dass sie uns nicht belügt und nur versucht, uns für ihre Zwecke zu
benutzen?«
»Wenn dieser Zweck darin besteht, unschuldige Menschen vor der
Sklaverei oder dem Tod zu bewahren, dann soll es mir recht sein«,
erwiderte Andrej gereizt. Er sprach nicht weiter, schon, weil er selbst
hörte, wie er klang, und mit einem Mal stieg eine immer stärker werdende Wut auf Abu Dun in ihm auf. Nicht aufgrund dessen, was er
gesagt hatte. Es gab nicht viel an seinen Worten, was Andrej hätte
entkräften können. Vielleicht hatte Abu Dun Recht? Hatte sie ihn
vielleicht auf eine Art verzaubert, gegen die er sich nicht wehren
konnte, weil sie eine Frau und er ein Mann war? Andrej wollte das
nicht glauben, aber das änderte nichts daran, dass der Gedanke, einmal gedacht, sich in ihm einnistete und sich beharrlich weigerte,
wieder zu verschwinden.
»Wie edel«, sagte Abu Dun spöttisch. »Schade, dass du dich nicht
selbst hören kannst.«
»Ich?«, fragte Andrej scharf. »Wenn du wüsstest, wie du…«
Abu Dun unterbrach ihn mit einem abfälligen Geräusch. Andrej
konnte sehen, wie das Funkeln in seinen Augen zunahm, dann aber
beherrschte sich der Freund, drehte sich mit einem Ruck um und
ging mit schnellen Schritten zum Fluss hinab. Andrej nahm an, dass
er seinen Durst löschen wollte, doch er blieb aufrecht und reglos stehen und starrte auf die schwarz daliegende Wasserfläche hinaus.
Schlagartig verrauchte Andrejs Zorn und er fühlte sich elend. Warum
ging er nicht einfach zu ihm hin und bat ihn um Verzeihung oder -
schon weil sein Stolz das im Moment wahrscheinlich nicht zugelassen hätte - ging er nicht wenigstens zu ihm hin? Es hätte gereicht.
Abu Dun hätte selbst diese kleine Geste verstanden, aber auch das
brachte er nicht fertig. Was geschah nur mit ihm?
Andrej fragte sich, wer sich eigentlich verändert hatte - Abu Dun,
er selbst oder die Welt.
Er fand auch auf diese Frage keine Antwort. Lange Zeit stand er
einfach da und starrte ins Leere. Seine Gedanken fanden erst in die
Wirklichkeit zurück, als er Schritte hinter sich hörte und zugleich
sah, wie auch Abu Dun unten am Flussufer zusammenzuckte und
sich dann rasch umdrehte. Seine Hand senkte sich auf das Schwert,
ohne dass er sich der Bewegung auch nur bewusst gewesen wäre.
Aber es war nur Meruhe. Sie kam mit schnellen Schritten näher,
schwenkte aber dann plötzlich zur Seite und bewegte sich ebenfalls
wieder zum Fluss hinab, sodass er annahm, ihr Ziel wäre Abu Dun.
Statt seiner jedoch steuerte sie die Kamele an, die ihren Durst mittlerweile gestillt hatten und völlig reglos nebeneinander standen, als
erwarteten sie einen Befehl. Andrej war zu weit entfernt und das
Licht zu schlecht, als dass er sicher sein konnte, und doch kam es
ihm so vor, als ob die Tiere die Köpfe hoben und gemeinsam in ihre
Richtung sahen, kurz bevor Meruhe einen leisen, trällernden Pfiff
ausstieß, auf den hin sie ihr entgegenliefen.
Als Abu Dun und er nahezu gleichzeitig bei ihr eintrafen, hatte sie
eines der Tiere dazu gebracht, sich hinzusetzen, und befreite es gerade von seinem Zaumzeug.
»Was tust du da?«, fragte Abu Dun misstrauisch.
»Helft mir«, verlangte Meruhe. »Wir haben nicht allzu viel Zeit.«
Andrej trat gehorsam an sein eigenes Tier heran und versuchte, es
mit Gesten dazu zu bewegen, sich ebenfalls niederzulassen, erntete
aber nur einen feindseligen Blick, während Abu Dun trotzig die Arme vor der Brust verschränkte und fragte: »Helfen wobei?«
Andrej zerrte mittlerweile mit beiden Händen am Zaumzeug des
Kamels und brachte das Tier immerhin dazu, ein unwilliges Grunzen
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