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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verschwommene
Schemen wahr und hörte Stimmen, von denen ihm zumindest eine
bekannt vorkam.
    Es dauerte länger, als Andrej es gewohnt war, bis sich seine Augen
an die veränderten Lichtverhältnisse angepasst hatten und er wieder
sehen konnte. Die vertraute Stimme gehörte Abu Dun, der neben
dem jetzt weit offen stehenden Tor stand und heftig gestikulierend
mit einem Mann sprach, der beinahe so groß war wie er, dabei aber
sehr schlank. Der Grund dieses heftigen Wortgefechtes waren ganz
offensichtlich die drei Kamele, die hinter dem Fremden standen und
für die Abu Dun anscheinend nicht den Preis zu zahlen bereit war,
der verlangt wurde. Andrej fragte sich beiläufig, wie Abu Dun sie
überhaupt bezahlen konnte, denn sie hatten während ihrer überstürzten Flucht aus Mardina alles zurücklassen müssen bis auf das, was
sie auf den Körpern trugen.
Er überließ die Lösung dieses Problems dem Nubier und hielt stattdessen nach Meruhe Ausschau. Sie war nicht auf dem Hof, und im
Haus hatte er sie auch nicht gesehen. Also überquerte er das kleine,
ummauerte Geviert mit schnellen Schritten, quetschte sich hinter
Abu Dun - der sich nicht im Mindesten rührte, um ihm Platz zu machen - durch das Tor und entdeckte sie vielleicht zwanzig oder dreißig Schritte entfernt auf einer flachen Anhöhe, auf der sie reglos
stand und auf den Fluss hinabsah. Im kräftigen Licht der Morgensonne schimmerte der Nil nun wie ein Band aus geschmolzenem
Gold, und obwohl er die Hand hob, um sich vor der ärgsten Helligkeit zu schützen, trieb ihm das Licht doch Tränen in die Augen. Sie
hatte ihn gehört und offensichtlich auch den Takt seiner Schritte erkannt, denn als er fast heran war, sagte sie, ohne sich umzudrehen:
»Das trifft sich gut, Andrej. Ich wollte gerade jemanden schicken,
um dich zu wecken.«
    »Warum hast du es nicht längst selbst getan?«, erwiderte Andrej,
statt sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. Der leicht spöttische Unterton, den aus ihrer Stimme zu verbannen sie sich nicht die geringste
Mühe gab, ärgerte ihn.
    »Warum hätte ich das tun sollen?«, gab Meruhe zurück. »Du hast
so tief geschlafen. Wir haben einen anstrengenden Tag vor uns, und
du wirst jedes bisschen Kraft brauchen, glaub mir. Außerdem gab es
rein gar nichts, was du hättest tun können.«
    Andrej warf einen kurzen Blick zu Abu Dun zurück, der noch immer hinter dem offenen Tor stand und heftig mit dem anderen um
den Preis der Kamele feilschte, und obwohl er sicher war, dass Meruhe nicht in seine Richtung gesehen hatte, musste sie ihn gespürt
haben, denn sie fuhr in leicht amüsiertem Ton fort: »Es sei denn, du
hast plötzlich deine Vorliebe fürs Feilschen entdeckt.«
    Andrej runzelte die Stirn. Meruhe hatte natürlich vollkommen
Recht. Auch, wenn er sich ganz und gar nicht so fühlte, hatte ihm die
zusätzliche Stunde Schlaf doch sicherlich gut getan, und sie hatten einen anstrengenden Tag vor sich. Es war schon jetzt heiß, und sicherlich würde es unerträglich werden, schon lange bevor die Sonne
ihren Höchststand erreicht hatte. Nein, es ärgerte ihn nur, dass sie die
Tatsache, dass er die Ruhe dringender nötig haben könnte als sie, in
Worte kleidete. Es war so, und es gab überhaupt keinen Grund für
ihn, sich dessen zu schämen. Meruhe war ihm und Abu Dun mindestens so überlegen wie der Nubier und er irgendeinem gewöhnlichen
Menschen. Das änderte aber nichts daran, dass ihre Bemerkung an
seinem Stolz kratzte.
    Obwohl er so stand, dass er Meruhes Gesicht nicht sehen konnte,
spürte er das Lächeln, das sich auf ihren Lippen ausbreitete. Er
schluckte jedoch jede Bemerkung herunter, trat mit einem letzten
Schritt direkt neben sie und blickte auf den Fluss hinaus. »Suchst du
etwas Bestimmtes?«, fragte er.
    Meruhe deutete nach Osten. Andrejs Blick folgte der Geste, doch er
konnte dort nichts erkennen außer gleißender Helligkeit und einer
verschwommenen Linie, die sich dem direkten Blick immer wieder
zu entziehen schien und wohl das gegenüberliegende Ufer markierte.
    »Faruk«, erklärte Meruhe. »Sie sind vor einer halben Stunde aufgebrochen. Wie es aussieht, haben sie bisher keine frischen Tiere
bekommen, und wenn sie weiter dem Fluss folgen, dann wird das
wahrscheinlich auch bis zum späten Nachmittag so bleiben. Das verschafft uns noch ein wenig mehr Zeit.«
    Das mochte stimmen, dachte Andrej, aber ihr musste auch klar sein,
wie wenig ihnen das am Ende nutzen würde. Ganz egal, um wie

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