Die Verfluchten
zugleich aber auch selbst weiß, wie sinnlos es ist.
»Du solltest trotzdem versuchen, zu schlafen. Ich jedenfalls bin müde, und wir haben morgen einen wirklich anstrengenden Ritt vor uns.
Wenn wir nicht vor Faruk und seinen Kriegern im Dorf sind, geschieht eine Katastrophe.«
Damit hatte sie vermutlich Recht, dachte Andrej, aber es interessierte ihn nicht. »Wir müssen reden«, sagte er leise.
Meruhe öffnete widerwillig die Augen. Es war zu dunkel, um in ihrem Gesicht zu lesen, aber er spürte, dass ihre Verärgerung etwas
anderem wich. »Über Abu Dun«, vermutete sie.
Nein, korrigierte sich Andrej. Meruhe hatte es nicht nötig, etwas zu vermuten. Er nickte.
»Entschuldige«, sagte Meruhe.
Andrej nickte erneut und versuchte zugleich, seine Gedanken zu
ordnen. Es war ungemein irritierend und auch ein bisschen beängstigend, mit jemandem zu reden, der stets schon vorher wusste, was
man sagen wollte. »Ich verstehe nicht, was mit ihm los ist«, begann
er. »Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, dass
er…«
»… eifersüchtig ist?« Meruhe schüttelte den Kopf. »Warum sagst
du das? Du weißt es eben nicht besser. Er ist eifersüchtig.«
»Eifersüchtig?«
»Wäre das so unvorstellbar?« Meruhe tat, als sei sie beleidigt, wurde aber dann sofort wieder ernst, stemmte sich ebenfalls auf einen
Ellbogen und schüttelte den Kopf. »Nicht, weil du mich gehabt hast
und er nicht«, fuhr sie fort. Sie lachte. »Ich denke, er hat eine Menge
Frauen gehabt, die schöner waren als ich. Und auch jünger.«
»Auch auf die Gefahr hin, ungalant zu klingen«, bestätigte Andrej,
»aber ich bin ziemlich sicher, dass alle seine Frauen jünger waren als
du.«
»Erheblich jünger sogar, fürchte ich«, gestand Meruhe betrübt, aber
in ihren Augen funkelte es. Dann wurde sie endgültig ernst. »Darum
geht es nicht, Andrej.«
»Sondern?«, fragte Andrej. Meruhe schwieg, und er fragte noch
einmal und in schärferem Ton: »Was ist los mit ihm? Du weißt es!«
»Verlangst du etwa von mir, dass ich in seinen Gedanken lese?«,
fragte Meruhe tadelnd.
»Verdammt, Meruhe!«
»Selbst wenn ich es täte, wäre es gar nicht nötig. Du weißt, was mit
ihm ist.« Sie hob die Schultern. »Natürlich ist er eifersüchtig. Er verliert fast den Verstand vor Eifersucht, aber es geht ihm nicht darum,
dass du mich gehabt hast und er mich will. Er hat Angst, dich an
mich zu verlieren. Begreifst du das wirklich nicht?«
»Doch«, antwortete Andrej. »Aber er muss doch wissen, dass das
Unsinn ist.«
»So?«, fragte Meruhe. »Ist es das?«
Andrej war verwirrt. Sein Herz klopfte. Nervös fuhr er sich mit
dem Handrücken über das Kinn. »Sag du es mir.«
»Das kann ich nicht.«
Meruhe kam seiner Antwort mit einem Kopfschütteln zuvor. »Nein,
versteh mich richtig - ich kann es nicht. Selbst wenn ich es wollte.
Ich kann nichts in dir erkennen, was du selbst nicht weißt.« Sie lächelte traurig. »Alles geht einmal zu Ende, nicht wahr?«
»Ich würde mich nie von Abu Dun…«, begann Andrej, wurde aber
sofort von Meruhe unterbrochen, indem sie ihm den Zeigefinger auf
die Lippen legte.
»Natürlich nicht«, sagte sie leise. »Aber er von dir.«
»Warum sollte er das tun?«
Meruhe richtete sich noch etwas weiter auf, sodass der Mantel, den
sie als Decke benutzte, von ihren Schultern glitt. »Du hast mir von
dieser Frau erzählt, mit der Abu Dun zusammen war.«
»Julia, ja«, sagte Andrej.
»Julia. Wärst du bei ihnen geblieben, wenn es… anders gekommen
wäre?«
»Ich bin bei ihnen geblieben«, erinnerte Andrej.
»Für einige Jahre, ja«, sagte Meruhe kopfschüttelnd. »Und du wärst
sicher auch noch länger geblieben, vielleicht Jahrzehnte, bis ans Ende ihres natürlichen Lebens, weil das kaum mehr als einen Augenblick für einen von uns bedeutet. Aber wärst du auch geblieben,
wenn sie keine Sterbliche gewesen wäre? Hättest du es ertragen, für
den Rest der Ewigkeit neben ihnen zu leben und ihrem Glück zuzusehen?«
»Wahrscheinlich nicht«, gestand Andrej.
»Bestimmt nicht«, behauptete Meruhe. »Es hat einen Grund, warum die meisten von uns allein leben. Abu Dun und ihr, ihr seid etwas Besonderes. Fast alle Unsterblichen, die ich kenne, leben allein.«
»Alle?«, fragte Andrej und versuchte, sie an sich zu ziehen.
»Nicht alle«, gestand Meruhe. »Aber die meisten.«
»Du hast es selbst gesagt - nichts dauert ewig. Aber manches vielleicht lange genug.«
Er versuchte sie zu küssen. Erst sträubte sie sich, dann
Weitere Kostenlose Bücher