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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Notiz
von ihnen nahmen oder ihnen allenfalls einen Gruß oder eine freundliche Geste zukommen ließen. Es schien an diesem Ufer des Nils
keine größeren Ansiedlungen oder gar Städte zu geben, wohl aber
immer wieder kleinere Ansammlungen von Fischerhütten oder auch
einmal einen einsamen Bauernhof, der eingebettet in eine Umgebung
aus Feldern und schmalen Bewässerungskanälen lag. Zweimal stießen sie auf die Ruinen gewaltiger Bauwerke, die vom Wind und dem
geduldigen Nagen der Zeit fast unkenntlich gemacht worden waren,
und einmal glaubte Andrej am anderen Ufer etwas zu erkennen, das
gut eine Stadt sein konnte, doch sie war zu weit entfernt und der Nil
an dieser Stelle zu breit, um mehr als Schemen ausmachen zu können. Einmal, kurz vor der Mittagsstunde, verließ Meruhe fast im
rechten Winkel ihren bisherigen Kurs und ritt ein gutes Stück weit in
die Wüste hinein, kehrte aber danach wieder auf ihren ursprünglichen Weg zurück. Andrej fragte auch danach nicht. Wenn Meruhe
einen abermaligen Umweg in Kauf nahm, um einen Bogen um eine
ganz bestimmte Uferstelle zu schlagen, hatte sie gewiss einen guten
Grund dafür.
    Auf diese Weise verging ein guter Teil des Tages. Sie verbrachten
die heißeste Stunde auch jetzt wieder im Schatten, der aber diesmal
der Schatten eines kleinen Palmenwäldchens war, in dessen Zentrum
eine Quelle mit kristallklarem Wasser entsprang. Mensch und Tier
stillten ihren Durst an dieser Quelle, sodass sie ihre mitgeführten
Wasservorräte nicht angreifen mussten. Als sie schließlich weiterritten, hatte ein sonderbares Gefühl von Zufriedenheit von Andrej Besitz ergriffen, und möglicherweise sogar von Abu Dun, denn er hüllte
sich zwar immer noch in beleidigtes Schweigen, hatte aber zumindest aufgehört, ihm feindselige Blicke zuzuwerfen.
    Vielleicht lag es an ihrer Umgebung. Nach so langer Zeit, in der sie
nichts anderes als Wüste, Stein, Sand und Hitze gesehen hatten, tat
das überreichlich wachsende Grün, das sie nun umgab, nicht nur ihren Augen wohl, sondern auch ihren Seelen. Andrej hatte Abu Duns
Heimat überwiegend als totes und verbranntes Land kennen gelernt.
Nun aber bewegten sie sich nach einem harten Wüstenritt, der eine
Ewigkeit gedauert zu haben schien - woran das Kamel wahrscheinlich nicht ganz unschuldig war -, unmittelbar an der Lebensader dieses Landes entlang, und der Unterschied war so deutlich wie beim
ersten Mal, als sie aus der Wüste an den Nil gelangt waren und sich
monatelang nicht mehr von seinem Ufer entfernt hatten. Andrej hatte
bisher geglaubt, dass gerade er gegen solche Gefühle gefeit sein
musste.
    Das gesamte Land ringsum mochte ein einziger Glutofen sein, in
dem nichts außer Sand und einigen Skorpionen existierte, hier aber,
zu beiden Seiten dieses gewaltigen Stroms, der irgendwo im schwarzen Herzen Afrikas entsprang, waren ganze Kulturen entstanden und
wieder untergegangen. Es war, als hätten sie etwas hinterlassen, das
weit über die Ruinen und Mauerreste hinausging, die aus dem Sand
ragten (zum größten Teil aber wohl darunter verborgen und für alle
Zeiten vergessen waren). Wenn Meruhe die Wahrheit gesagt hatte,
dann hatte sie einen großen Teil dieser Kulturen kommen und wieder
gehen sehen, aber Andrej wagte es nicht, sie darauf anzusprechen.
Vielleicht später, dachte er. Wenn das alles hier vorbei war und wenn
sie dieses Abenteuer hinter sich gebracht hatten, würden sie viel Zeit
zum Reden haben. Im Augenblick genoss er das Gefühl, all das Leben und Wachsen rings um sich herum zu sehen und zu spüren und
den Frieden einzuatmen, der über diesem Landstrich lag.
    Doch es blieb nicht so. Anfangs beinahe unmerklich, sodass es Andrej kaum auffiel, dann jedoch immer deutlicher, begann das Ufer
vor ihnen zurückzuweichen. Der Streifen aus lebendigem Grün, der
den Nil an dieser Stelle begrenzte, wurde dünner. Immer öfter mussten sie großen Felsbrocken ausweichen, die wie steinerne Fäuste die
dünne, lebende Oberfläche durchschlagen hatten, und irgendwann
ritten sie nicht mehr über eine grüne Decke mit vereinzelten braunen
oder felsgrauen Einschlüssen, sondern durch ein krankes Land, in
dem nur wenige Büsche und schmutzig grüne Flechten Halt und
Nahrung fanden. Die Kamele bewegten sich während der gesamten
Zeit in jenem langsamen, aber beharrlichen Trott, der so typisch für
diese Tiere war, und nicht nur ihn dem Irrtum hatte erliegen lassen,
sie seien langsamer als Pferde.
    Vielleicht eine

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