Die Verfluchten
bringen, zu glauben, wir
hätten für ein Frühstück bezahlt.«
Meruhe blinzelte, dann lachte sie. »Oh nein, sie sind keine schlechten Menschen. Ganz im Gegenteil. Auch wenn es dir mittlerweile
wahrscheinlich anders vorkommen muss, so habe ich doch eine
Menge Freunde in diesem Teil des Landes. Sie werden uns zu essen
und alles andere geben, was wir brauchen. Und sie werden uns gewiss nicht verraten, keine Sorge.«
»Was tun wir hier eigentlich?«, fragte Andrej. »Wir sind doch nicht
nur hier, um vor Faruk zu fliehen.«
Meruhe blieb ihm die Antwort schuldig.
Andrej wartete noch einen Moment ab, aber er spürte, dass er weiterhin keine Antwort bekommen, sondern die Situation nur noch unangenehmer machen würde, und schließlich wandte er sich ab und
ging zurück. Meruhe folgte ihm, allerdings in einigem Abstand und
deutlich langsamer.
Abu Dun feilschte immer noch ebenso gestenreich wie lautstark mit
dem Araber und würdigte Andrej jetzt genauso wenig eines Blickes
wie vorhin, als er den Hof verlassen hatte. Anders eines der drei Kamele, das ihn tückisch musterte, als er - in deutlich größerem Abstand als nötig - an ihm vorbeiging. Das Vieh musste ein Verwandter
des Kamels sein, das ihn bis zum anderen Ufer getragen hatte, dachte
er missmutig, oder mindestens ein guter Freund.
Er hatte plötzlich keine Lust mehr, allein ins Haus zu gehen, um
dort etwas zu essen, und so blieb er stehen und wartete, bis auch Meruhe den Hof betreten hatte.
Sie kam jedoch nicht sofort zu ihm, sondern trat an Abu Duns Seite,
und etwas Sonderbares geschah: Abu Dun gestikulierte nur umso
heftiger, doch Andrej konnte sehen, wie der Widerstand des anderen
zusammenbrach, als Meruhe ihn ansah. Es verging nur noch ein Augenblick, bis er sich mit einem sonderbar starren Nicken geschlagen
gab. Andrej beobachtete ungläubig, wie er Abu Dun die Hand schüttelte und dann einfach ging. Abu Dun hatte ihm weder Geld noch
irgendetwas anderes gegeben. Selbst der Nubier wirkte fassungslos.
Zumindest so lange, bis sein Blick auf Meruhes Gesicht fiel. Sofort
verdüsterte sich seine Miene, und er wandte sich mit einem Ruck ab,
um zu den Kamelen zu gehen.
Zwei der Tiere drehten schmatzend die Köpfe in seine Richtung,
während das dritte weiter beharrlich in Andrejs Richtung starrte. In
seinen Augen war jetzt nicht nur eindeutig ein boshaftes Funkeln zu
erkennen, Andrej war auch fast sicher, das Tier wiederzuerkennen.
Vielleicht war es ja tatsächlich ein Verwandter des Mistviehs, das
drei Tage lang sein Bestes getan hatte, um seine Eingeweide nach
außen zu kehren. Oder eine Reinkarnation…
»Nein, Andrej«, sagte Meruhe. »Es ist einfach nur ein Kamel. Aber
sie spüren, wenn man sie nicht mag; wie übrigens fast alle Tiere.
Und sie spüren erst recht, wenn man Angst vor ihnen hat.«
Andrej schenkte ihr einen schrägen Blick und zog es darüber hinaus
vor, zu schweigen.
Es verging noch einmal annähernd eine halbe Stunde, bevor sie
aufbrachen. Irgendwann hatte sich Abu Dun zu ihnen gesellt, und sie
hatten gemeinsam und wortkarg eine einfache, aber sehr reichhaltige
Mahlzeit zu sich genommen. Keiner der anderen Gäste der Karawanserei hatte auch nur ein einziges Wort mit ihnen gewechselt, und
auch die Blicke, mit denen man sie gemustert hatte, waren verstohlen
und unsicher geblieben. Doch je länger Andrej darüber nachdachte,
desto klarer wurde ihm sein Irrtum. Was er für Furcht, Ablehnung
und mühsam unterdrückte Angst gehalten hatte, das waren eher Ehrfurcht und Scheu. Die wenigen Worte, die Meruhe am Schluss mit
ihrem Gastgeber wechselte, hatte er zwar nicht verstanden, doch ihr
freundlicher Ton war ihm trotzdem nicht verborgen geblieben. Meruhe verabschiedete sich mit einem Lachen von dem Mann, und der
Blick, mit dem er sie zum Abschied maß, verwirrte Andrej zutiefst.
Ehrfurcht war nicht annähernd das richtige Wort, um ihn zu beschreiben.
Die Kamele waren gesattelt und aufgezäumt und schwer mit Wasserflaschen und anderen Vorräten beladen, als sie die Karawanserei
endgültig verließen. Andrej hatte Meruhe zwei Mal nach ihrem Ziel
gefragt, aber natürlich keine Antwort bekommen, sodass er es nun
vorzog, dieselbe Frage nicht ein drittes Mal zu stellen, was ihm ohnehin höchstens einen spöttischen Blick von Abu Dun eingetragen
hätte. Sie saßen auf und verließen die Karawanserei.
Während der ersten Stunden folgten sie dem Fluss. Immer wieder
begegneten ihnen Menschen, die zum größten Teil aber kaum
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