Die Verfluchten
aber gab sie
nach, und ihre Lippen berührten sich so lange und intensiv, dass die
Welt rings um sie herum einfach zu erlöschen schien. Irgendwann,
nach tausend Jahren, wie es ihm schien, lösten sie sich schwer atmend wieder voneinander. Andrej fühlte sich auf schwer zu beschreibende Art matt, so erschöpft und ausgelaugt, als hätte ihn dieser Kuss fast die gesamte Kraft gekostet, die er in den zurückliegenden Tagen so mühsam zurückgewonnen hatte.
»Wir sollten jetzt wirklich schlafen«, sagte Meruhe sanft.
»Ja, weil morgen ein anstrengender Tag wird, ich weiß«, brummte
Andrej. »Aber eigentlich bin ich noch gar nicht müde.«
»Du weißt, dass es sinnlos ist, mich belügen zu wollen, oder?«
»Also gut, ich bin müde«, gestand Andrej. »Aber nicht so müde.«
Er streckte die Hand aus und versuchte sie wieder enger an sich zu
ziehen, doch diesmal wehrte Meruhe ihn zwar sanft, aber dennoch
mit großer Kraft ab.
»Nein«, sagte sie entschieden. »Heute nicht, Andrej.«
»Und warum nicht?«, fragte Andrej mit einem schiefen Grinsen.
»Weil es nicht gut für dich wäre«, antwortete Meruhe auf eine Art,
die Andrej nicht sicher sein ließ, ob sie das tatsächlich so scherzhaft
meinte, wie ihn ihr augenzwinkerndes Lächeln Glauben machen
wollte.
»Und jetzt schlaf «, forderte sie ihn auf.
»Ganz bestimmt nicht«, maulte Andrej und schlief auf der Stelle
ein.
Ungewöhnlich genug für ihn, erwachte er am nächsten Morgen erst
nach Sonnenaufgang, mit leichten Kopfschmerzen, einem schlechten
Geschmack im Mund und beinahe ebenso erschöpft, wie er in der
vergangenen Nacht eingeschlafen war. Er hatte das Gefühl, einen
Albtraum durchlitten zu haben, an den er sich allerdings nicht erinnern konnte, und als er sich in die Höhe zu stemmen versuchte, gelang es ihm erst beim zweiten Anlauf. Das Lager neben ihm war leer,
aber diesmal spürte er auch Meruhes Wärme nicht mehr; sie musste
schon lange vor ihm aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen
sein.
Andrej blinzelte müde zu der Öffnung im Dach über sich, deren
ausgezackte Ränder sich nun tatsächlich als Loch erwiesen, das gewaltsam in das Gemisch aus Holz, Stroh und Lehm gebrochen worden war, als wäre etwas vom Himmel gefallen und in diese traurige
Herberge eingeschlagen. Er konnte die Sonne nicht sehen, doch der
Winkel der schräg einfallenden Lichtstrahlen verriet ihm, dass es
mindestens eine Stunde nach Sonnenaufgang war, und diese Erkenntnis ließ ihn schlagartig und endgültig wach werden. So rasch,
dass ihm allein durch die abrupte Bewegung schon wieder schwindlig zu werden drohte, sprang er auf, ergriff seine wenigen Habseligkeiten und eilte aus dem Zimmer.
Stimmen und die mannigfaltigen Geräusche des Hauses schlugen
ihm entgegen, als er den schmalen Gang entlang zur Treppe eilte,
gerade noch langsam genug, um nicht zu rennen. Der Raum, den er
sah, als er die Treppe hinunterstürmte, war so groß, wie er es in der
Nacht zuvor vermutet hatte, und musste fast das gesamte Untergeschoss des Hauses einnehmen. Trotz der bereits fortgeschrittenen
Tageszeit war es dunkel und kühl, denn es gab nur wenige, schmale
Fenster, vor die hölzerne Läden gelegt worden waren, deren Aufgabe
allerdings weniger darin bestand, das Licht fern zu halten, als vielmehr die Hitze. Eine große, grob aus Holz zusammengezimmerte
Theke nahm eine ganze Wand des Raumes ein, und aus einer schmalen Tür dahinter schlugen ihm verlockende Essensgerüche, das Klappern von Geschirr und das helle Lachen eines Mädchens entgegen.
Nur sehr wenige Gäste saßen auf den Teppichen und Kissen, die in
dem großen Raum verteilt waren. Es waren einfache Reisende, Kaufleute oder Bauern, soweit Andrej dies ihrem Äußeren nach beurteilen
konnte. Keiner von ihnen sprach ihn an, doch die Männer unterbrachen ihre Gespräche, als sie seine Schritte hörten und seiner gewahr
wurden, und die Blicke, mit denen sie ihn maßen, waren nicht nur
neugierig.
Andrej beachtete sie so wenig wie die beiden hoch gewachsenen,
kräftigen Männer, die hinter der Theke standen und wie die Gäste für
einen Moment in dem, womit sie gerade beschäftigt gewesen waren,
innehielten und ihn auf ebenso seltsame Weise musterten, durchquerte den Raum mit schnellen Schritten und trat gebückt auf den Hof
hinaus.
Zunächst sah er kaum etwas, denn die Sonne stand zwar noch tief,
war aber schon hoch genug gestiegen, um als grellweißer Halbkreis
über der Hofmauer zu erscheinen. Er nahm nur
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