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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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weitere und
noch größere Fehler nach sich. Ich glaubte damals wirklich, was ich
täte, wäre richtig. Ich habe nicht verstanden, dass ich an Dinge gerührt habe, an die kein Mensch rühren darf. Kein Sterblicher, und
auch keiner von uns.«
Andrej verstand immer weniger, wovon sie überhaupt sprach, doch
er kam nicht dazu, seiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen,
denn Meruhe legte ihm die Arme um den Nacken, zog seinen Kopf
mit sanfter Gewalt zu sich herab und küsste ihn, lange und sehr zärtlich, aber auch auf eine Art, die ihn schaudern ließ.
Er versuchte, sich aus ihrer Umarmung zu befreien. »Meruhe, das
ist nicht…«, begann er, doch Meruhe zog ihn erneut an sich und erstickte seine Worte mit einem zweiten, noch längeren Kuss.
Etwas Sonderbares geschah. Ihre Lippen waren süß und weich,
sinnlich und unendlich verlockend, und obwohl alles in ihm schrie,
dass das, was sie taten, der pure Wahnsinn war, spürte er doch auch
gleichzeitig, wie sein Widerstand brach. Schon nach wenigen Augenblicke hörte er auf, sich zu wehren, und einen weiteren Augenblick später erwiderte er ihren Kuss, seine Hände schlossen sich um
ihre Schultern, um sie noch näher an sich zu pressen, ihre Weichheit
zu spüren und die Wärme ihres Körpers.
Aber da war auch noch mehr. Bisher hatte er es nur vermutet, nun
aber spürte er ganz deutlich, dass dieser Kuss mehr war als eine sinnliche Vereinigung ihrer Lippen, dass er mehr von ihm forderte als ein
wenig Wärme und Zärtlichkeit. Er spürte, wie etwas in ihn hineingriff und ihm seine Kraft zu entziehen begann; nicht brutal und mit
einem einzigen Ruck, wie Abu Dun und er es taten, wenn sie die
Seelen ihrer Opfer nahmen, sondern sanft, beinahe zärtlich, aber
doch mit derselben, vielleicht sogar einen noch größeren, unwiderstehlichen Kraft. Einer Kraft, der er nichts entgegenzusetzen hatte
und gegen die er sich auch gar nicht sträuben wollte. Seine Glieder
wurden schwer. Er spürte, wie sein Herz langsamer zu schlagen begann, wie alle Kraft aus seinen Muskeln wich und plötzlich Meruhe
es war, die ihn festhielt.
Was hatte sie gesagt, gestern, als sie ihn abgewiesen hatte? Weil es
nicht gut für dich wäre… Er spürte, wie seine Kräfte weiter und weiter schwanden, wie nicht nur seine körperliche Kraft immer mehr
abnahm, sondern auch sein Lebensfunke schwächer zu brennen
schien, und vielleicht war es dieses Gefühl, das ihm ein allerletztes
Mal die Kraft gab, gegen ihre tödliche Umarmung aufzubegehren.
Da war noch ein winziges bisschen Energie in ihm, ein verborgenes
Reservoir, von dessen Existenz er bisher nicht einmal etwas geahnt
hatte.
Mit einem verzweifelten Stöhnen bäumte er sich auf und versuchte
sie von sich wegzustoßen, aber er verlor diesen Kampf ebenso wie
den anderen, lautlosen. Meruhe war auch körperlich stärker als er,
wahrscheinlich war sie das immer gewesen. Ohne dass es sie auch
nur die geringste Mühe zu kosten schien, hielt sie ihn weiter fest.
Ihre Lippen lösten sich tatsächlich für einen Moment von denen
Andrejs, aber nicht, weil es ihm gelungen wäre, sie von sich wegzustoßen oder auch nur den Kopf zur Seite zu drehen, sondern nur, um
ihm noch einmal zuzuflüstern: »Es tut mir Leid, Andrej. Bitte, verzeih mir. Aber ich brauche alle Kraft, die ich bekommen kann.«
Und damit senkten sich ihre Lippen erneut auf die seinen herab,
und Andrej schmeckte ihre Süße, spürte ihren warmen Atem und ihre
sanfte, aber unerbittliche Hand, die weiter in ihn hineingriff und das
Leben Stück für Stück aus ihm herausriss. Das war das Letzte, was er
fühlte, bevor er in einen unendlich tiefen, warmen Abgrund stürzte
und sich eine allumfassende Dunkelheit um ihn schloss.
    Er war nicht bewusstlos gewesen. Als er erwachte, geschah es auf
eine sehr seltsame, ihm bislang unbekannte Art. Er hatte das sichere
Gefühl, dass Zeit verstrichen war und dass er sogar ziemlich präzise
hätte abschätzen können, wie viel, und dass er nur deshalb nicht sagen konnte, was mit und um ihn herum geschehen war, weil er reglos
in absoluter Dunkelheit dagelegen hatte. Es war nicht, als erwache er
aus einem tiefen Schlaf, und es war auch nicht so wie die Male zuvor, wenn er von einer Reise an die Grenzen des Todes zurückkehrte
und nur mühsam die Kontrolle über seinen Körper wiedererlangte.
Es war anders, auf eine so unglaublich berauschende und zugleich
entsetzliche Weise neu, dass er keine Worte fand, um es zu beschreiben.
    Erst dann

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