Die Verfluchten
Bewegung, mit der er auf ihre Frage antwortete, ein Nicken
sein sollte.
»Also gut«, sagte Meruhe. »Dann komm.«
Andrej begriff im ersten Moment nicht, dass die beiden letzten
Worte ihm galten. Erst, als Meruhe nach zwei Schritten wieder stehen blieb, sich umwandte und ihn ungeduldig musterte, erwachte er
aus seiner Erstarrung. Aber er folgte ihr nicht, bevor er Abu Dun
einen verwirrt-fragenden Blick zugeworfen und gewissermaßen sein
Einverständnis eingeholt hatte. Geh ruhig. Aber war es tatsächlich
Abu Duns Blick, der ihm antwortete, oder eine lautlose Stimme in
seinen Gedanken?
Rasch - aber mit einem schlechten Gefühl - wandte er sich um und
folgte Meruhe.
Sie verließen die Grabkammer auf demselben Weg, auf dem sie sie
betreten hatten: Sie suchten sich ihren Weg durch das Labyrinth aus
aufgetürmten Schätzen und Kostbarkeiten, und plötzlich waren sie
wieder in dem langen, bemalten Gang, durch den sie hereingekommen waren. Für die Dauer eines halben Atemzugs blieb er stehen und
sah sich verstört um, und für einen noch viel kürzeren Moment hatte
er das seltsame Gefühl, von Abu Dun im Stich gelassen geworden zu
sein.
Irgendwie gelang es ihm, diesen Gedanken abzuschütteln, aber er
fühlte sich… irritiert. Mehr als nur verwirrt.
»Was… was genau willst du mir zeigen?«, fragte er stockend.
Meruhe blieb stehen und warf ihm einen sonderbaren Blick über die
Schulter zu. »Mein Grab.«
»Dein… Grab?«, wiederholte Andrej erschrocken.
Meruhe nickte. »Auch ein Unsterblicher muss dann und wann sterben«, sagte sie ernst, »zumindest, wenn er nicht will, dass sein Geheimnis offenbar wird.«
Andrej verstand, was sie meinte. Er bedeutete ihr mit einem Nicken
weiterzugehen, und ohne dass Andrej hätte sagen können wie, fanden
sie sich plötzlich in einer kleinen, nach dem Übermaß an Pracht und
Reichtum, das sie gerade gesehen hatten, fast schon schmucklos wirkenden Kammer wieder. Sie maß gerade einmal vier oder fünf
Schritte im Quadrat, und die Wände waren nur flüchtig geglättet und
weder verputzt noch bemalt, sodass man noch die Meißelspuren im
Fels erkennen konnte. In ihrer Mitte befand sich ein Steinblock von
der Größe eines Bettes, auf dem eine mumifizierte Gestalt lag.
Andrej zog erstaunt die Augenbrauen zusammen, als Meruhe zur
Seite trat und ihm damit den Blick auf die Mumie freigab. Es war
unmöglich zu sagen, wie lange sie schon hier lag - ein Jahrhundert
oder ein Jahrtausend oder vielleicht schon sehr viel länger -, doch
jemand hatte ihre ewige Ruhe gestört.
Die Mumie war geschändet worden. Ihr rechter Arm fehlte und lag
ein gutes Stück entfernt auf dem Boden, und der Schädel schien von
einem Axthieb gespalten worden zu sein. Die ehemals weißen Bandagen, mit denen der tote Körper eingewickelt worden war, waren zu
einem schmutzigen Grau geworden und überall zerrissen, sodass die
vertrocknete, pergamentdünne Haut darunter zum Vorschein kam.
Man hatte die Mumie sämtlicher Schmuckstücke und Grabbeigaben
beraubt.
»Was… was soll das?«, murmelte er und warf Meruhe einen verstörten Blick zu. »Hast du nicht gesagt, es wäre…«
»Mein Grab«, unterbrach ihn Meruhe. »Ja. Das arme Ding ist an
meiner Stelle gestorben und wurde an meiner Stelle beigesetzt.« Ihre
Stimme wurde leiser, und ein Ausdruck vager Trauer erschien in
ihren Augen. »Ich wusste nicht einmal, wie sie hieß. Sie war erst seit
ein paar Tagen in meinen Diensten.«
»Aber du hast sie nicht…«, entfuhr es Andrej. Er biss sich auf die
Unterlippe und sprach den Gedanken nicht zu Ende, aber das war
auch nicht nötig.
»Getötet?«, fragte Meruhe und schüttelte den Kopf. Sie wirkte traurig, aber nicht verletzt. »Nein«, fuhr sie fort, und ihre Stimme wurde
noch bitterer. »Obwohl ich es genauso gut mit eigenen Händen hätte
tun können.«
»Wieso?«, fragte Andrej.
»Auch Pharaonen haben Feinde gehabt«, erwiderte Meruhe.
»Heimtücke und Mord machen vor niemandem Halt, nicht einmal
vor einem Herrscher, der von den Göttern selbst abstammt. Nachdem
sie Ramses getötet hatten, stand nur noch seine Frau zwischen ihnen
und der Macht über ganz Ägypten.«
»Du?«, fragte Andrej.
»Ich dachte, ich wäre sicher«, fuhr Meruhe fort, ohne seine Frage
damit direkt zu beantworten. »Was sollte mir schon passieren? Ich
habe mich geirrt. Dieser Mordanschlag galt mir. Das arme Mädchen
war noch jung, tatsächlich noch fast ein Kind. Ich habe sie in meinem Schlafgemach gefunden, mit
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