Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Jahren hinweg so glatt
poliert hatten, dass man sich beinahe darin spiegeln konnte. Auch die
Wände bestanden aus dem gleichen Material, aber sie waren nicht
glatt, sondern bis auf den allerletzten Winkel mit mehr oder weniger
kunstvoll ausgeführten Reliefarbeiten und Bildern übersät. Manche
davon waren so alt, dass ihre Farben längst verblasst und ihre Umrisse nur noch zu erahnen waren, andere sichtlich neueren Datums,
wieder andere waren über ältere, längst vergessene Bildnisse gemalt
oder in den Stein gemeißelt worden. Selbst die Decke, die so niedrig
war, dass Abu Dun nur weit nach vorne gebückt darunter stehen
konnte, war mit Bildern und Hieroglyphen übersät. Nichts davon
sagte Andrej irgendetwas, aber in ihrer Gesamtheit ergaben sie doch
einen unheimlichen Anblick, der irgendetwas tief in ihm anzurühren
schien, etwas, von dem er bisher noch gar nicht gewusst hatte, dass
es überhaupt da war.
»Gruselig, nicht?«, fragte Abu Dun. »Mir geht es ganz genauso.«
Andrej fragte sich, woher der Nubier eigentlich wissen wollte, was
er beim Anblick dieser mysteriösen Kammer empfand, doch stattdessen arbeitete er sich ächzend in die Höhe, richtete sich ganz auf und
zog dann mit einem unterdrückten Schmerzenslaut den Kopf wieder
ein. Die Kammer war noch ein gutes Stück niedriger, als er angenommen hatte.
»Wo ist das Wasser, von dem du gesprochen hast?«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Abu Dun hob zur Antwort nur die Schultern. Vielleicht fragte er
sich in diesem Moment dasselbe wie auch Andrej: nämlich, was all
die Menschen, die Meruhe hergebracht hatte, eigentlich hier drinnen
getan hatten, wenn es gar kein Wasser gab.
Sehr viel vorsichtiger als beim ersten Mal hob Andrej noch einmal
den Kopf und unterzog die Wandmalereien einer zweiten, etwas
gründlicheren Inspektion, die jedoch auch zu keinem anderen Ergebnis führte als die erste. Allenfalls zu dem, dass sich ihre beängstigende Wirkung noch verstärkt zu haben schien. »Was ist das hier?«,
murmelte er.
»Vielleicht doch irgendein alter Tempel«, sagte Abu Dun. »Ganz,
wie ich es zuerst vermutet habe.«
»Vielleicht?«, wiederholte Andrej und warf ihm einen zweifelnden
Blick zu. »Ich habe von diesen sonderbaren Bildern gehört. Sie sind
so etwas wie eine Sprache, nicht wahr?«
»Und jetzt erwartest du von mir, dass ich sie spreche«, sagte Abu
Dun und schnitt eine Grimasse. »So, wie ja auch du jede einzelne
Sprache des Abendlandes kennst, und auch jede noch so alte und
noch so lange vergessene Schrift.«
»Das hier ist deine Heimat«, erinnerte ihn Andrej.
»Dieses Land ist alt, Hexenmeister«, antwortete Abu Dun. »Hier
gab es schon große Kulturen und mächtige Reiche, als sich deine
Vorfahren noch darüber gestritten haben, ob es besser ist, auf den
Bäumen oder auf dem Boden zu leben. Zahlreiche Völker haben ihre
Spuren hier hinterlassen. Ich weiß nicht, was es ist, und ich bin nicht
einmal sicher, ob ich es wirklich wissen will.«
Das konnte Andrej gut verstehen. Es war nicht so, dass ihm diese
Bilder und Zeichnungen und uralten Schriften tatsächlich Angst gemacht hätten, ganz gewiss nicht, und doch wünschte er sich, sie niemals gesehen zu haben. Es war verrückt, aber er hatte das Gefühl,
dass sie versuchten, eine Erinnerung in ihm auszulösen, die er niemals gehabt hatte.
Vielleicht nur, um das unangenehme Gefühl nicht übermächtig
werden zu lassen, fragte er: »Wo sind die anderen?«
»Von welchen anderen sprichst du?«, gab Abu Dun zurück. »Von
Ali Jhin und seinen Freunden, oder von Meruhe und ihren Leuten?«
»Von beiden«, antwortete Andrej leicht verärgert.
»Deine neue Herzensdame ist verschwunden«, sagte Abu Dun.
»Sie ist nicht meine Herzensdame!«, schnappte Andrej, und Abu
Dun fuhr ungerührt fort: »Und Ali Jhin und seine Krieger…«
Er sprach nicht weiter, sondern wiegte nur mit sonderbarem Gesichtsausdruck den Kopf, dann wandte er sich um und senkte die
Schultern noch ein wenig weiter, um durch den niedrigen Ausgang
zu treten. »Komm. Ich bringe dich zu ihnen.«
Die Sonne stand noch tief, als Andrej dicht hinter Abu Dun aus der
Tür trat, war aber schon weit genug über die Sanddünen gestiegen,
um ihn geblendet die Augen zusammenkneifen zu lassen. Flüchtig
wunderte er sich darüber, dass es schon hell war. Offensichtlich hatte
er die ganze Nacht durchgeschlafen, was ihm nach einem Abend wie
dem zurückliegenden äußerst sonderbar vorkam. Außerdem fühlte er
sich so matt

Weitere Kostenlose Bücher