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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einzige Leiche.«
Andrej fuhr mit einem Ruck herum. Sein Blick tastete über den
glatt gefegt daliegenden Sand. »Aber das ist doch…«
»Ich glaube, das Wort, nachdem du suchst, ist unmöglich«, sagte
Abu Dun. »Trotzdem ist es so. Ich habe nicht einen einzigen Toten
gefunden.«
Aber das ist unmöglich!, dachte Andrej. Er hatte gespürt, wie die
Erde unter dem Toben des Sturmes erbebte. Die Hölle aus glühend
heißem Sand hätte selbst ihn um ein Haar umgebracht, hätte Abu
Dun ihn nicht im letzten Moment in den Zikkurat gezerrt. Er musste
den Blick nur nach rechts wenden, um zu sehen, mit welch furchtbarer Gewalt der Sturm getobt hatte. Meruhes Leute hatten sich keine
zwanzig Meter von den Reitern entfernt befunden. Es war vollkommen unmöglich, dass auch nur einer von ihnen dieses Inferno überlebt haben konnte!
Dennoch war es so.
»Und… Meruhe?« Sie hatte oben auf dem Dünenkamm gestanden,
als der Sturm über sie hereinbrach. Sie war den Urgewalten vollkommen schutzlos ausgeliefert gewesen.
Abu Dun schüttelte auch jetzt wieder nur den Kopf. »Aber sie hat
uns etwas dagelassen.«
Andrej sah verwirrt hoch. »Was?«
Statt zu antworten, löste sich Abu Dun von seinem Platz und ging
mit schnellen Schritten an ihm vorbei und zurück zum Zikkurat. Er
betrat das Gebäude jedoch nicht, sondern verschwand ohne ein weiteres Wort hinter einer Ecke, und Andrej folgte ihm.
Hinter dem niedrigen Sandsteinbau standen zwei Pferde. Sie waren
komplett aufgezäumt, trugen prachtvolle Sättel und schimmerndes,
mit Kupfer oder Messing verziertes Zaumzeug, und sie wirkten so
frisch und ausgeruht, als kämen sie geradewegs von einer saftigen
Weide. Schwere Packtaschen und mindestens ein halbes Dutzend
prall gefüllter Wasserschläuche hingen hinter ihren Sätteln, und die
Vorderläufe der Tiere waren mit kurzen Stricken aneinander gebunden, damit sie nicht wegliefen.
Andrej riss ungläubig die Augen auf. Nicht nur der Zustand der
Tiere (von ihrem bloßen Vorhandensein einmal ganz zu schweigen)
versetzte ihn in Erstaunen. Er war ganz sicher, keines dieser beiden
Pferde am vergangenen Tag bei der Flüchtlingskarawane gesehen zu
haben. Wäre das anders gewesen, hätten Abu Dun und er sie sich
ausgesucht, bevor sie davongeritten waren.
»Das wäre der Moment, in dem wir vielleicht damit anfangen sollten, etwas ernsthafter über Geistergeschichten nachzudenken«, sagte
Abu Dun.
Andrej blieb ernst. »Woher…«
Abu Dun beantwortete seine nicht zu Ende gesprochene Frage mit
einem Seufzen und einem neuerlichen Heben der Schultern. »Ich
habe keine Ahnung, Sahib. Vielleicht ein Geschenk deiner neuen
Freundin. Ich glaube, sie ist ein Dschinn.«
»Red nicht so einen Unsinn«, sagte Andrej, doch er spürte selbst,
wie wenig überzeugend seine Worte klangen. Es war nur das, was er
sagen wollte, nicht das, was er wirklich empfand. Trotzdem schüttelte er noch einmal bekräftigend den Kopf, ging weiter und begann die
beiden Pferde aufmerksam zu untersuchen.
Es waren prachtvolle, wohlgenährte Tiere, die bei seiner Annäherung nicht die geringste Scheu zeigten, obwohl er doch ein vollkommen Fremder für sie war. Ihr Fell glänzte wie frisch gestriegelt, und
Andrej glaubte sogar, noch einen schwachen Stallgeruch an ihnen
wahrzunehmen.
»Sie… sie müssen zu Ali Jhins Heer gehören«, sagte er schließlich.
Es war eine Ausrede, und nicht einmal eine gute, aber die einzige,
die ihm in den Sinn kam.
Abu Dun nickte. »Ja. Nachdem seine Krieger hergekommen sind
und gesehen haben, was passiert ist, haben sie sie bestimmt hier gelassen. Schließlich wird in diesem Land Gastfreundschaft groß geschrieben, und man lässt zwei einsame Wanderer nicht ohne Wasser
und Pferde mitten in der Wüste zurück. Ihnen könnte etwas Schreckliches widerfahren.«
Andrej schenkte ihm einen bösen Blick, sparte sich aber jeden
Kommentar. Er wusste selbst, wie wenig überzeugend seine Erklä
rung klang. Unglücklicherweise blieb sie die einzige, die ihm einfallen wollte.
»Ich bleibe dabei«, beharrte Abu Dun. »Sie ist ein Dschinn.«
»Es gibt keine Dschinns«, sagte Andrej stur.
»Natürlich nicht«, erwiderte Abu Dun spöttisch. »So, wie es auch
keine Vampyre gibt, oder Werwölfe.«
»Das ist etwas anderes«, behauptete Andrej und spürte, dass er allmählich begann, sich lächerlich zu machen. Abu Dun antwortete
nicht einmal mehr darauf. Stattdessen sah er ihn auf eine Art an, von
der Andrej nicht sagen konnte, ob sie nun mitfühlend, spöttisch oder
einfach nur

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