Die Verfluchten
angemessen,
sogar ein bisschen mehr als das, wenn er Abu Dun glauben konnte,
aber der fette Kaufmann pflegte einen aufwändigen Lebensstil, den
er sich eigentlich gar nicht leisten konnte und der ebenso wie die
beiden finster dreinblickenden, gemieteten Krieger, die ihm auf
Schritt und Tritt wie zwei ungleich große Schatten folgten, einzig
dem Zweck diente, mehr zu scheinen, als er war. Er schlief, wo immer es ging, in Gasthäusern, die sich Abu Dun und er nicht leisten
konnten - und seine (angebliche) Großzügigkeit ging nicht so weit,
auch noch das Quartier für seine Leibwächter zu bezahlen, was zur
Folge hatte, dass der Nubier und er zumeist in Pferdeställen oder
unter freiem Himmel übernachteten.
Aber auch darüber wollte sich Andrej nicht beschweren. Sie würden dieses Leben nicht unbegrenzt fortführen, das war ihm klar. So,
wie er mehr als ein Jahrhundert lang auf der Suche nach etwas gewesen war, von dem er vermutlich erst wissen würde, was es überhaupt
war, wenn er es gefunden hatte, hatte er noch immer das Gefühl, dass
etwas fehlte, dass er sich nach etwas sehnte, was er nicht greifen
konnte und nach dem er sich irgendwann einmal wieder auf die Suche machen würde. Aber nicht im Augenblick.
Hier und jetzt befanden sie sich im Händlerviertel von Mardina, einer Stadt am Leben spendenden Nil, die zum längeren Verweilen
einlud, und Mustafa Bo, der fast so fett war wie Abu Dun, aber nur
etwas mehr als halb so groß, saß zwei Tische entfernt mit einem anderen Händler zusammen, trank Unmengen von Tee und feilschte
mit schriller Stimme und unter heftigem Gestikulieren, als versuche
er einen unsichtbaren Mückenschwarm zu vertreiben, um etwas, das
Andrej nicht im Entferntesten interessierte. Mustafa hatte ihnen Anweisung gegeben, sich unauffällig zu verhalten und sich darauf zu
beschränken, aus einer gewissen Distanz über ihn zu wachen, aber
jederzeit zum Eingreifen bereit zu sein, sollte etwas passieren. Andrej konnte sich nicht vorstellen, was das sein könnte, denn auch wenn
er sich herzlich wenig für Mustafas Geschäfte interessierte, so war
ihm doch nicht verborgen geblieben, dass der Fettwanst hauptsächlich mit so kostbaren Gütern wie Datteln oder Ziegenhäuten handelte, etwas, wofür sich wahrscheinlich niemand die Mühe machen
würde, ihm die Kehle durchzuschneiden oder gar hier, in den überfüllten Straßen und Gasthäusern rings um den Basar, einen offenen
Angriff auf ihn zu wagen.
Und was das Sich-unauffällig-im-Hintergrund-Halten anging, erübrigte sich Mustafas Anweisung, solange sie einem Mann wie Abu
Dun galt. Der Nubier mit seinen gut zwei Metern Größe, dem gewaltigen Krummsäbel, den er so demonstrativ zur Schau trug, und seinen nachtschwarzen Kleidern, deren Farbe mit seiner Haut korrespondierte, fiel einfach überall auf. Und manchmal hatte Andrej sogar
den Eindruck, dass er umso mehr auffiel, je mehr Mühe er sich gab,
es nicht zu tun.
Der Mann mit dem merkwürdigen Namen Salil as Salil jedenfalls,
mit dem Mustafa seit einer guten Stunde um weiß der Teufel was
schacherte, sah immer wieder nervös zu ihnen herüber. Wahrscheinlich, dachte Andrej spöttisch, hatte Mustafa die Tatsache, dass dieser
Furcht einflößende Riese in seinen Diensten stand, so unauffällig
durchsickern lassen, dass man es mittlerweile in der ganzen Stadt
wusste.
Auch das war ihm gleich. Nach Monaten, die sie in der Einsamkeit
oder allenfalls in einem kleinen Dorf am Ufer des Nils oder einer
Karawanserei zugebracht hatten (auch wenn einige erstaunlich groß
und luxuriös waren) genoss er es einfach, wieder einmal unter Menschen zu sein, das brodelnde Leben einer Stadt rings um sich herum
zu fühlen und in viele fremde Gesichter zu blicken.
Andrej griff nach seiner Tasse und nahm einen winzigen Schluck
von dem mittlerweile kalt gewordenen, würzig schmeckenden Tee.
Er war ausgezeichnet, und dennoch wünschte sich Andrej, es wäre
Wein gewesen. Ein guter Schluck Wein - und sei es nur dann und
wann - gehörte zu den im Grunde recht wenigen Dingen aus seiner
Heimat, die er wirklich vermisste. Aber so etwas war, zumindest hier
und zu dieser Tageszeit, nicht zu bekommen. Nicht alle Muselmanen
nahmen es mit dem Gebot ihrer Religion, keinen vergorenen Traubensaft zu trinken, so ernst, wie sie nach außen hin gerne taten, und
natürlich gab es auch hier in Mardina (wie in jeder anderen großen
Stadt des Orients, von Mekka selbst vielleicht einmal abgesehen) die
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