Die Verfluchten
ruhiger geworden. Als die ersten der großen, roh aus Brettern
zusammengenagelten Podeste auftauchten, auf denen die ganz besonderen Händler, die in diesem Viertel das Sagen hatten, ihre ganz
besondere Ware anpriesen, schien Abu Duns Gesicht zu Stein zu
erstarren. Andrej konnte den stummen Zorn, der in seinem Freund
emporkochte, beinahe körperlich spüren. Vor ihrem Zusammentreffen mit Meruhe und ihrem Volk hatte er bereits gewusst, dass sich
Abu Dun vom ehemaligen Sklavenhändler zu einem überzeugten
Gegner der Sklaverei gewandelt hatte, aber erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr er die Sklaverei und jene, die sie betrieben, hasste.
Meruhes Frage fiel ihm ein - ob Abu Dun sich selbst für das hasste,
was er früher getan hatte. Wäre sie jetzt da gewesen, hätte er sie beantworten können. Abu Dun hasste sich nicht erst heute dafür, er
hatte es vermutlich auch schon früher getan, in seinem ersten, so lange zurückliegenden Leben, von dem Andrej erst jetzt wirklich begriffen hatte, dass er diesen Weg nicht aus Gedankenlosigkeit, Gier oder
Grausamkeit eingeschlagen hatte, sondern nur, weil es ihm als die
einzige Möglichkeit erschienen war, derjenigen habhaft zu werden,
die ihm selbst und seiner Familie so Schreckliches angetan hatten.
Der Sklavenmarkt verteilte sich nicht auf mehrere aneinander grenzende Straßen und Gassen wie der Basar, sondern befand sich auf
einem weitläufigen Platz, der an allen Seiten von hohen Gebäuden
mit massiven Mauern umgeben war. Die Türen in den unteren Geschossen machten einen massiven Eindruck, und die Fenster waren
ausnahmslos vergittert. Dieser Platz war nicht willkürlich ausgesucht
worden, begriff Andrej. Sollte es hier jemals zu Unruhen oder gar zu
einem Aufstand der Sklaven kommen - so etwas war schon vorgekommen -, würde er sich in Windeseile in ein Gefängnis verwandeln,
aus dem es kein Entrinnen gab. Er legte diese Information sorgsam in
seinem Gedächtnis ab. Sie wussten schließlich nicht, was sie hier
erwartete.
»Und jetzt?«, flüsterte er.
Abu Dun reagierte nicht auf seine Frage, sondern sah sich nur weiter mit finsterem Gesichtsausdruck um. Vor ihnen erstreckte sich ein
Gewirr aus Dutzenden von unterschiedlich großen Ständen, die von
dichten Menschentrauben umlagert waren. Hier wurden lebendige
Waren unterschiedlichster Art angeboten: Männer und Frauen, Kinder, Orientalen und Schwarze, aber auch ein paar Europäer, vermutlich Kriegsgefangene, die das Heer der osmanischen Angreifer zurückgebracht und die ihren Weg hierher nach Mardina gefunden hatten. Das bunte Treiben und die Geräuschkulisse erinnerten Andrej an
die des Basars, es war ebenso laut, überall war Bewegung, es wurde
gelacht und gepfiffen, gefeilscht und in die Hände geklatscht, und
wären es nicht Menschen gewesen, die wie Vieh auf diesen Marktständen feilgeboten wurden, er hätte die Stimmung als durchaus
fröhlich empfunden. So erschütterte ihn der Anblick zutiefst.
Er hatte gewusst, dass es Sklavenhandel gab. Er war einmal sogar
selbst ein Sklave gewesen, und Abu Dun war weiß Gott nicht der
einzige Sklavenhändler, dem er das Handwerk gelegt hatte; wenn
auch vielleicht der einzige, den er am Leben gelassen hatte. Aber er
hatte nie gesehen, wie Sklaven verkauft wurden, und es war ein Anblick, der ihm weit mehr zu schaffen machte, als er sich eingestehen
wollte. Er konnte Abu Dun jetzt ein bisschen besser verstehen, auch
wenn er bezweifelte, dass er die Gefühle des Nubiers tatsächlich
nachempfinden konnte. Bisher hatte er geglaubt, vor allem auf Abu
Dun Acht geben zu müssen, wenn sie hierher kamen. Jetzt musste er
aufpassen, nicht die Kontrolle über sich selbst zu verlieren.
Darüber hinaus aber fühlte er sich auch noch auf eine gänzlich andere Art hilflos. Es waren Dutzende von Ständen, auf denen Hunderte von Sklaven angeboten wurden. Selbst wenn er sich an jedes einzelne Gesicht aus Meruhes entflohener Sklavenkarawane erinnerte -
was er bezweifelte -, wie sollten sie es in dieser gewaltigen Menge
finden?
Abu Dun nahm ihm die Entscheidung ab, indem er weiterging und
langsam einen Stand nach dem anderen ansteuerte. Bei einigen blieb
er eine Weile stehen und sah zu, andere schien er gänzlich zu ignorieren oder würdigte sie gerade einmal eines flüchtigen Blicks, und
auch, wenn Andrej das System, nach dem er dabei vorging, nicht
durchschauen konnte, so vertraute er sich seiner Führung dennoch
ohne Protest an. Er vermutete, dass Abu Dun wusste, was er
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