Die Verfluchten
sorgsam
einprägte; und das des Sklavenhändlers ganz besonders.
»Du denkst jetzt hoffentlich nicht an das, was dir so deutlich ins
Gesicht geschrieben steht«, murmelte Andrej, nachdem sie endgültig
weitergingen.
»Wenn es das tut, warum fragst du dann?«, knurrte Abu Dun.
»Wir sind nicht deswegen hier«, sagte Andrej ernst. Diesmal blieb
ihm Abu Dun eine Antwort schuldig, aber genau das war es, was
Andrej noch mehr beunruhigte.
Nachdem sie ein paar Schritte zurückgelegt hatten, fuhr Abu Dun
fort: »Was würdest du tun, Hexenmeister, wenn du Männer aus deinem Volk hier in Ketten antreffen würdest?«
Andrej machte eine Kopfbewegung über die Schulter zurück, dorthin, wo eine ganze Anzahl Männer aus seinem Volk angeboten wurden. »So wie diese da?«, fragte er.
»Siehst du, Hexenmeister?«, antwortete Abu Dun kalt. »Vielleicht
ist das der größte Unterschied zwischen dir und mir. Ich werde nicht
von meinem eigenen Volk gejagt.«
Andrej schluckte die scharfe Antwort herunter. Dein eigenes Volk
bin ich, du Narr. Er sah sich unauffällig um, um sich davon zu überzeugen, dass Abu Duns Worte nicht an die falschen Ohren gedrungen
war, erst danach wurde ihm klar, dass es keine Rolle spielte. Abu
Dun war trotz allem umsichtig genug gewesen, um nicht arabisch,
sondern deutsch zu sprechen.
Sie schlenderten weiter scheinbar ziellos über den großen Platz, und
endlich hatten sie nur noch zwei Stände ganz an seinem anderen Ende vor sich. Bisher hatten sie nicht ein einziges vertrautes Gesicht
unter den Sklaven entdeckt, und Andrejs Zuversicht, seine Erinnerung vielleicht durch den Anblick eines dieser Gesichter zu wecken,
war einer schuldbewussten Enttäuschung gewichen. Es war ein Fehler gewesen, nicht sofort hierher zu kommen oder nicht doch zumindest Fasil selbst vernommen zu haben. Vielleicht war der Händler,
nach dem sie suchten, schon gar nicht mehr hier. Vielleicht hatte
Fasils Frau auch gelogen.
Dann fiel sein Blick auf das vorletzte Podest, und Andrej erstarrte
mitten in der Bewegung.
Es war ein kleiner, eher schäbiger Stand, nicht annähernd so massiv
gebaut und mit bunten Tüchern geschmückt wie die anderen Stände,
die das Auge des Unschlüssigen einfangen und auf die Ware lenken
sollten, und es hatten sich auch nur ein knappes Dutzend potenzieller
Kunden davor versammelt, um die Sklaven zu begutachten. Die einzelne Sklavin, die in prachtvolle seidene Gewänder gehüllt dort oben
stand, um genauer zu sein.
Es war Meruhe.
»Wer sollte jetzt aufpassen und nichts Unbedachtes tun?«, murmelte Abu Dun neben ihm.
Andrej hörte gar nicht hin. Er konnte es nicht. Er konnte nur dastehen und Meruhes ebenmäßiges schwarzes Gesicht anstarren. Von
einem Lidschlag zum anderen waren die zurückliegenden Monate
einfach ausgelöscht. Er war wieder in der Wüste, er sah sie wieder
auf dem Dünenkamm über sich stehen und dann einfach verschwinden, aufgesogen von dem Sturm, der aus dem Nichts über sie hereingebrochen war. Das, was er damals nicht zu empfinden gewagt hatte,
war mit einem Male da, nur mit hundertfach größerer Wucht. Eine
unsichtbare Hand griff nach seinem Herzen und drückte es zusammen. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte nicht atmen.
»Andrej«, sagte Abu Dun. Obwohl er leise sprach, klang seine
Stimme beschwörend und erschrocken zugleich.
Statt zu antworten, ging Andrej weiter und bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Zuschauer, bis er direkt vor dem Podest
angelangt war. Einer der Männer, die er grob aus dem Weg geschoben hatte, warf ihm einen zornigen Blick zu, wollte etwas sagen,
doch dann verwandelte sich die Wut in seinem Gesicht in Verblüffung und kurz darauf in Schrecken, und er zog sich stattdessen hastig
noch ein paar weitere Schritte zurück.
Es war tatsächlich Meruhe. Jetzt, wo er ihr so nahe war, dass er nur
noch den Arm auszustrecken brauchte, um sie zu berühren, konnte es
nicht mehr den geringsten Zweifel daran geben. Sie trug nicht mehr
das schlichte schwarze Gewand, das sie sich von Ali Jhin ausgeliehen hatte, sondern ein prachtvolles Kleid aus halb durchsichtiger
dunkelroter Seide und darüber Kopftuch und Schleier aus demselben
Material, das den Eindruck erweckte, dem Blick Einhalt zu gebieten,
es aber nicht tat. Ihr Haar war zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden, sie trug kostbare Armbänder, Ketten und Ringe, und Andrej
fiel erst jetzt auf, dass sie zu den wenigen Sklaven auf dem Markt
gehörte, die nicht gefesselt
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