Die Verführung der Arabella Fermor: Roman (German Edition)
ungefährdet in Binfield zu bleiben bei den Menschen, die er so sehr liebte, aber er wusste, dass er voranschreiten musste. Zum Guten oder zum Schlechten, seine Zukunft erwartete ihn in London. Dort musste er seine Begabung auf die Probe stellen. Er wollte den Höhenflug des Erfolges. Es war endlich Zeit, mit der schrecklichen Möglichkeit des Versagens konfrontiert zu werden.
Als ein paar Tage später Caryll kam, um ihn abzuholen, konnte Alexander es kaum erwarten, fort zu sein. Caryll schüttelte ihm herzlich die Hand und legte ihm mit liebevoll väterlicher Geste den Arm um die Schulter.
»Gut von Ihnen, ihn gehen zu lassen, Madam, Sir«, sagte er und nickte Alexanders Eltern vertrauensvoll zu, was Alexander daran erinnerte, dass Caryll etwa so alt sein musste wie sein Vater. »Aber wer sollte sich wohl für ein Leben in London entscheiden, wenn er auch hier leben könnte, was? Sie werden ihn in kürzester Zeit wiedersehen.« Alexander entzog sich Carylls schützendem Arm. Bislang hatte er an seinen Schutzpatron nur als eine Möglichkeit gedacht, um nach London zu gelangen, und er war erstaunt, zu merken, dass Caryll eine weit stärkere Persönlichkeit war, als er angenommen hatte. Er wusste, dass Caryll in dem Ruf stand, politisch sehr erfahren zu sein. Vor vielen Jahren war Carylls Onkel wegen einer Jakobiten-Verschwörung gegen die Krone des Verrates bezichtigt worden, und da war er es gewesen, der die Familie davor bewahrt hatte, alles zu verlieren.
»Haben Sie von dem Priester gelesen, der in Shoreditch ermordet worden ist, Mr. Caryll?«, fragte Alexanders Vater ihn.
Caryll blickte finster drein. »Die Gefahren der Stadt sind noch nicht Vergangenheit, Sir«, sagte er.
Alexander blickte irritiert auf, und plötzlich kam ihm der Gedanke, dass sein Patron vielleicht einiges mehr wusste über diesen Mord, als er verlauten ließ. Doch Carylls Gesicht verriet nichts.
Als schließlich das Abschiednehmen überstanden war und sie abfuhren, wurde Alexander förmlich überschwemmt von einem Glücksgefühl. In der aufgehenden Sonne leuchtete die eisglitzernde Landschaft: Weißer Raureif und purpurne Schatten schmiegten sich in den Schnee, der wie Flausch in kleinen Mulden lag. Das trockene Wetter der letzten Tage hatte die Straße hart und eben gemacht. Der Tau stieg unter der morgendlichen Wärme dunstig auf und umschwemmte die Beine der frierenden Schafe, die traurig der blassen Sonne zugewandt standen. In flottem Tempo durchquerten sie ein Eichenwäldchen, und das Rattern der Räder scheuchte zwei Rehe auf, die über das offene Grasland davonstoben. Ihre warmen Hufe ließen einen silbernen Schweif aus Raureif hinter sich. Weit, weit in der Ferne erspähte Alexander die Turmspitzen Londons, aufleuchtend, als die ersten Sonnenstrahlen sie erfassten.
»Nun, wie geht’s Ihnen denn, Alexander?«, fragte Caryll. »Darauf versessen, in die Stadt zu kommen, wette ich. Ist ja auch ganz schön lange her seit Ihrem letzten Besuch. Kein Grund, gleich wieder heimzueilen. Ihre Eltern werden schon ohne Sie zurechtkommen.« Er versetzte ihm einen spielerischen Stoß, mehr wie ein Freund als wie ein Vater.
Alexander wunderte sich, warum Caryll seinen Eltern gegenüber so anders über diesen Aufenthalt in London gesprochen hatte. Es war schwer zu sagen, wann Mr. Caryll es tatsächlich ernst meinte. Aber er war darauf bedacht, sich Carylls Wohlwollen zu erhalten, deshalb sagte er: »Mein Vater war sehr besorgt wegen dieses Besuches, aber Sie haben seine Ängste sehr geschickt beruhigt.«
Carylls Antwort jedoch war kühl. »Vergessen Sie nicht, Alexander, welche Dinge Ihr Vater und ich in London gesehen haben«, sagte er. »Ihre Generation war nicht Zeuge bei den Exekutionen nach dem Mord an Sir Edmund Berry Godfrey. Männer, mit denen ich aufgewachsen bin, wurden vor meinen Augen gevierteilt, während ihre Körper noch atmeten. Die Protestanten zögerten nicht, fünfzig Männer an den Galgen zu bringen, bloß weil sie gesagt hatten, des Königs erstgeborener Sohn habe einen Anspruch auf den Thron.«
Alexander wurde rot. »Ich fürchte, Sie fanden mich impertinent, Sir. Aber auch ich habe einmal eine Priester-Verbrennung gesehen, und ich werde das nie vergessen. Ich schäme mich wegen Ihres Tadels.«
Er sah die Szene, die er so lange aus seiner Erinnerung verbannt hatte, wieder vor sich. Es war kurz bevor seine Familie aus London geflohen war. Er war mit seinem Vater ins Hafenviertel gegangen, um frisch importierte Leinwand
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