Die Verführung der Arabella Fermor: Roman (German Edition)
massiven Fenster des ersten Geschosses reichten bis zu einer noblen Balustrade, und hoch über alledem saß ein doppelstöckiger Glockenturm, der in den Himmel stach wie die Kuppel einer Kathedrale und soeben das Mittagsgeläut über der Stadt ertönen ließ.
Als Teresa die Kutschentür aufschlug, stürmten Gerüche und Glockenklang machtvoll auf sie ein. Endlich angekommen! In London, an einem herrlichen Morgen, und der ganze Besuch lag noch vor ihr! Sie hörte das bimmelnde Glöckchen des Muffinverkäufers, der sich mit einem Tablett voll warmer Küchlein durch die Menge drängte, den dumpfen Aufprall, als Stoffballen von einem Karren geworfen wurden, das Stampfen der Hufe auf schmutzdurchweichtem Stroh, wenn die Kutschen anhielten und die Pferderücken zischelnd dampften, das unablässige, schrille Pfeifen der Botenjungen. Sie atmete den Geruch röstender Kastanien und den ätzenden Rauch der Kohlenpfannen, die Würze heißen Apfelweins, den durchdringenden Gestank von frischem Dung. Sie stand auf dem Trittbrett der Kutsche, und ihr Atem dampfte in der kalten Luft, während sie die Szenerie in sich aufnahm. Dann sprang sie auf das Pflaster hinunter, selig, in der Stadt zu sein, und wild entschlossen, den Ausflug zu einem Erfolg zu machen.
Arabella war in der Kutsche noch damit beschäftigt, die Kapuze ihres Umhanges neu zu binden und die Falten ihres Mantels zu arrangieren. Ein Herr in Militäruniform trat eilends an die Kutsche und bot ihr seine Hand. Lächelnd ergriff sie sie und stieg auf das Kopfsteinpflaster hinunter. Der Mann verbeugte sich und ging seines Weges.
»Wer war der Herr, Arabella?«, fragte Teresa, als sie unter dem Gewölbe hindurch in den Innenhof gingen.
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte die. »Aber er sah ziemlich gut aus, fandest du nicht auch?« Jetzt war Arabella wieder viel besserer Stimmung.
Sie griff nach Teresas Arm und erklärte: »Die Läden oben sind immer die besten, aber ich glaube, dir werden auch die kleinen Stände im Hof gefallen. Als ich das letzte Mal hier war, habe ich einen Meter Seidenlitze gekauft. Ich möchte mal wissen, ob die Frau heute auch wieder da ist.«
Vor ihnen öffnete sich das von Arkaden gesäumte Geviert der Börse, belebt von Krämern, Händlern und Hausierern mit ihren Waren, dazwischen flanierend Vertreter sämtlicher Berufe und Gesellschaftsschichten. Die Damen und Herren spazierten Arm in Arm mit Freunden oder knüpften im Innenhof neue Bekanntschaften. Zwei Männer mit Biberpelzhüten verbeugten sich, als Arabella hinüberdeutete und rief: »Ja, schau mal! Da ist die Seidenfrau wieder!«
Als Teresa stehen blieb, um hinzuschauen, breitete eine winzige alte Frau vor ihr eine Stoffbahn aus, die sich in der Brise kräuselte wie ein rasch fließender Bach. Das winterliche Sonnenlicht fing sich in den Falten und ließ sie aufleuchten.
»Wie schön!«, murmelte sie, entzückt von dem Anblick und wäre gerne stehen geblieben, aber Arabella bewegte sich weiter über den Hof, und sie beeilte sich, sie einzuholen.
»Du hast wahrscheinlich noch nicht gehört, dass Maria Granville Tommy Hawkins heiraten wird?«, sagte Arabella, und Teresa wurde sich wieder einmal bewusst, wie wenige Neuigkeiten sie auf dem Lande erreichten.
»Maria Granville?«, wiederholte sie. »Von der habe ich nichts mehr gehört, seit wir in Paris waren.«
»Sie hat letztes Jahr einen Riesenskandal ausgelöst: Es kam nämlich heraus, dass sie und Edward Fairfax ein Verhältnis hatten.«
»Ein Verhältnis?«, wiederholte Teresa. »Du meinst, sie waren … Bettgenossen?«
Arabella nickte. »Aber Fairfax hat Lord Chesters Tochter geheiratet, und Maria saß in der Patsche.«
»Und darum wird sie jetzt Tommy Hawkins heiraten«, meinte Teresa nachdenklich. »Es kann ja nicht sonderlich prickelnd sein, eine Beute zu erjagen, die von sämtlichen anderen Mädchen Londons so gründlich in die Mache genommen worden ist. Schon, als ich ihn vor zwei Jahren auf dem Land wiedertraf, machte er einen ziemlich angenagten Eindruck; der wird halb aufgezehrt sein, wenn Maria ihn schließlich durch die Kirchentür kriegt.«
Arabella lächelte. »Ich staune, dass sie es überhaupt schafft, zu heiraten. Bestimmt haben ihr mindestens zwanzig andere Frauen gesagt, dass Fairfax ein Schuft ist. Aber das Mädchen fand nun mal, sie hätte sich verliebt!«
Sie traten um einen Bettler herum, der seine Krücke erhoben hatte, um ihnen den Weg zu versperren, und Arabella raffte geschickt ihre Röcke
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