Die Verführung der Mrs. Jones
gekleideter älterer Herr öffnete und ließ die beiden an sich vorbeitreten. Reto kannte den Weg und führte Sandra durch ein Gewirr von Fluren und Treppenhäusern in ein anderes Gebäude. Wieder eine Tür. Dieses Mal öffnete eine Frau. Sie war nackt, bis auf eine imposante Perlenkette, die sie sich mehrfach um den Hals geschlungen hatte und die den Blick auf ihre großen, wohlgeformten Brüste lenkte. Ihre hohen Plateausandalen wurden fast nachlässig nur durch ein paar zarte Bänder an den Füßen gehalten. Der exakt geschnittene dunkle Bubikopf mit dem langen Pony ließ sie wie eine Femme fatale aus den zwanziger Jahren erscheinen. Es fehlte nur die Zigarettenspitze. Sie lächelte Reto an … In ihren Augen lag eine gewisse Sehnsucht. Sandra spürte, die beiden kannten sich, und zwar mindestens so gut wie sie und Reto. Sandra sah ihn fragend an. Ihr Begleiter räusperte sich.
„Falls Sie jetzt denken, wir sind in einem erotischen – Etablissement – nun, dann haben Sie recht.“
Sandra spürte ihr Gesicht glühen. Sie war noch nie in einem dieser Clubs gewesen. Sie hielt sich an Retos Hand fest und folgte ihm und der nackten Brünetten durch die Räume. Auch heute trug sie tapfer ihre hochhackigen Schuhe und versuchte, ohne Unfall durch den Tag zu kommen. Der Eingangsbereich öffnete sich in ein großzügiges Foyer. Zu ihrer Erleichterung waren dort keine weiteren Gäste. Sie konzentrierte sich auf die Umgebung. Die Ausstattung war im Art-déco-Stil gehalten. Sandra war fasziniert. Sie liebte diese Epoche. Die Frau verabschiedete sich mit einem Kopfnicken. Sandra lächelte Reto an.
„Gefällt es Ihnen?“
Sie nickte. „Das Interieur ist einfach hinreißend.“
Er führte sie an die Bar, bestellte Getränke. Der Bartender war jung und sehr attraktiv. Er trug ein enges schwarzes Hemd zu ebenso engen schwarzen Hosen. Die Muskeln seiner Oberarme bildeten sich unter dem dünnen Stoff ab. Seine Haare waren mit Gel nach hinten gekämmt; es gab seinem hübschen Gesicht eine gewisse Strenge. Als er Sandra ihr Glas zuschob, erkannte sie ihn. Es war der Page aus dem Hotel.
„Sascha arbeitet hier ab und zu“, sagte Reto ungerührt und nickte ihm freundlich zu. „Von dem kargen Gehalt als Page kann man schlecht leben.“ Er beugte sich über den Tresen und sprach mit Sascha, der ihm einen Schlüssel gab. Dann wandte er sich an Sandra.
„Kommen Sie. Lassen Sie uns einen entspannten Nachmittag verbringen.“
Sie nahmen ihre Gläser und flanierten durch das mit Palmen und Farnen ausstaffierte Foyer, das immer noch menschenleer war. An den Wänden hingen geschmackvoll fotografierte erotische Szenen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Sandra blieb immer wieder stehen, um ein Motiv genauer zu betrachten. Schließlich gelangten sie in einen Saal, der sein Licht ausschließlich durch ein kunstvoll gestaltetes Oberlicht in der Decke erhielt. Um eine große Spielwiese herum, die sich direkt unter der Lichtkuppel befand, waren im Halbkreis mehrere Séparées angeordnet. Bei einigen war der dunkle Samtvorhang beiseitegeschoben. Sandra traute sich zunächst kaum, hinzuschauen. Lustschreie, Gestöhne und rhythmisches Geklatsche drangen an ihr Ohr.
„Kommen Sie.“
Reto führte sie zu einer freien Kabine, deren Vorhänge zurückgezogen waren. Auch hier waren die Möbel aus der Zeit des Art déco. Bett, Sessel, Chaiselongue … Im hinteren Bereich befand sich ebenfalls ein Vorhang, der nicht zugezogen war. Dahinter schloss sich eine Badelandschaft an, von allen Räumen zugänglich. In diesem großzügigen Boudoir vergnügten sich Pärchen und Grüppchen vollkommen ungeniert.
„Gefällt es Ihnen immer noch?“, wollte Reto wissen und sah Sandra prüfend an. Sie nickte zustimmend. Er lächelte und begann, ihren Rock hochzuschieben.
„Das habe ich gehofft.“
Sandra spürte, dass sie beobachtet wurden, aber es machte ihr nichts aus – im Gegenteil. Bin ich nach zwei Tagen mit Reto schon so abgebrüht, überlegte sie, oder fühle ich mich in seiner Gegenwart einfach sicher?
„Wenn Sie einverstanden sind, ziehen wir uns erst ein wenig zurück und gewöhnen uns an die Umgebung.“
Er ließ den Rock wieder über ihre Hüften fallen und führte sie ins Séparée. Sandra fühlte noch immer die Blicke der anderen Gäste im Nacken.
Reto setzte sich aufs Bett, klopfte neben sich auf die Matratze. Sandra lächelte. Sie mochte diese Geste, hatte sie schon in der ersten Nacht gemocht. Die Art, wie er sie betrachtete,
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