Die Verfuehrung Des Ritters
unordentlichen Strähnen ihrer von Dreck verklebten Haare aus dem Gesicht. »Wenn ich bisher gedacht habe, ich hätte mein Leben unter Kontrolle, wurde ich heute wohl eines Besseren belehrt.« Sie tastete nach dem nassen Stoff ihres Kleides, der sich bei jedem Schritt an ihren Beinen höher hinaufschob. »Und das gefällt mir überhaupt nicht.«
Griffyn »Pagan« Sauvage blieb lange reglos stehen und starrte die Straße entlang.
Wind kam auf und blies beständig unter den Saum seines Umhangs.
Das Letzte, was er jetzt brauchte, das wirklich allerletzte von allen Dingen auf dieser Welt, war eine weitere Bürde. Ausgerechnet in dieser Nacht der Nächte.
Griffyns Mission war im Grunde nicht besonders kompliziert: Er sollte England auf die Invasion vorbereiten. Er sollte die Mächtigen ködern und die Dummen bestechen. Aber er musste es auf Biegen und Brechen schaffen und alle Hindernisse aus dem Weg räumen, denn Henri fitzEmpress, der Graf von Anjou, Herzog der Normandie und rechtmäßiger König von England, war bereit, wie ein Sturm über das Land hinwegzufegen und es von der Küste im Süden bis zum Hadrianswall im Norden einzunehmen.
Vor sechs Monaten war Griffyn heimlich an der englischen Küste gelandet und hatte sich seitdem mit Dutzenden kriegsmüden Lords getroffen. Männer, deren Loyalität auf Messers Schneide stand. Er hatte sie alle überzeugt, dass Henris Schwert das schärfere war. Er hatte Dinge getan, die keinem anderen Mann möglich gewesen wären, und er plante, diese Dinge heute Nacht ein letztes Mal zu tun. Denn heute fand das wichtigste Treffen seiner ganzen Mission statt. In einer abgelegenen Jagdhütte, etwa eine halbe Meile von dieser Straße entfernt, fand ein Treffen statt.
Ein sorgfältig geplantes Treffen mit Robert Beaumont, dem Grafen von Leicester und mächtigstem Baron in Stephens Königreich. Wenn es Griffyn gelang, Beaumont auf Henris Seite zu ziehen, gehörte das ganze Land ihnen.
Der Name dieser Jagdhütte ? Hippingthorpe. Genau der Ort, zu dem sie gern gebracht werden wollte.
Konnte sie ihm mehr im Weg stehen? Und zwar buchstäblich im Weg?
Das Schicksal von zwei Königreichen stand bei diesem Treffen auf dem Spiel. Wenn er Beaumont überzeugte, würde England ihnen in den Schoß fallen.
Und dann konnte Griffyn endlich nach Hause zurückkehren.
Ein unerklärlich heftiger Schmerz erwachte in seiner Brust. Ein Schmerz, den der Lauf der Zeit stets gedämpft hatte, der jedoch immer da gewesen war. Nach Hause.
Sanft geschwungene, duftende Hügel, dichte Wälder und Heidekraut, das überall die Moore umschloss. Berge und Seen. Wildes, vom Wind umtostes Land. Mein Zuhause.
Er konnte keine Ablenkung gebrauchen. Heute Nacht nicht, eigentlich nie.
Er sah der einsamen, zerlumpten Gestalt nach, die in der Ferne immer kleiner wurde. Dann fluchte er leise und wandte sich ab.
5. KAPITEL
Gwyn schniefte und beschloss, optimistisch nach vorn zu schauen. Doch dann verfinsterte sich ihr Blick. Bis jetzt schien sie St. Alban kein Stück näher gekommen zu sein. Andererseits mochten aber auch erst zehn Minuten vergangen sein, seit sie ihren Fußmarsch begonnen hatte.
»Heute Nacht werde ich wohl in einem hohlen Baumstamm schlafen müssen.
Hoffentlich rieche ich nicht zu verlockend für irgendwelche Wildschweine.« Sie rümpfte die Nase. »Aber so, wie ich stinke, werde ich sie vermutlich in Scharen anziehen.«
Gwyn schaute zum Himmel und zog die Stirn kraus, als sie die Wolken sah, die sich über ihr zusammenballten. »Verflixt. Das sieht nach einem Gewitter aus. Und natürlich wird es auch zu regnen anfangen. Warum kriege ich eigentlich nicht gleich die Beulenpest oder es fällt ein Heuschreckenschwarm über mich her? Das würde doch gut als Abschluss dieser schrecklichen Nacht passen.«
Sie zitterte vom Kopf bis zu den nassen Füßen und war völlig durchgefroren. Ihre Fingerspitzen fühlten sich taub an, und die Knie zitterten vor Erschöpfung. Gwyn hob eine Hand und wischte sich damit die Nase. Dann rieb sie sich die Augen, die sofort zu tränen begannen. »Ich werde nicht weinen«, befahl sie sich wütend. »Ich habe mir das alles selbst zuzuschreiben. Weil ich dumm, naiv und stur war.«
Sie lief weiter, watete durch schlammige Pfützen und stolperte über die Unebenheiten der Straße. Ihre Beine zitterten und drohten, unter ihr nachzugeben.
In der Sohle ihres Schuhs klaffte ein großes Loch.
Gwyn setzte sich mitten auf die Straße und zerrte sich den Schuh vom
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