Die Verfuehrung Des Ritters
toten Mannes.
Das war zu viel. Sie kniff die Augen zusammen, als eine Welle der Übelkeit sie packte. Sie würgte und machte einen schwankenden Schritt zu Seite.
Der Unbekannte stieg rasch aus dem Sattel und war sogleich an ihrer Seite, um sie zu stützen.
»Ich bin sicher, ich könnte allein weiterziehen, wenn ich mein Pferd noch hätte«, sagte sie schwach. Seine Hand ruhte auf ihrem Rücken, und seine Hüfte drückte gegen ihre. Er verzog den Mund, als wollte er etwas erwidern, sagte aber nichts.
Gwyn befreite sich aus seinem Griff. Die Wärme, die von seinem Körper ausstrahlte, beunruhigte sie irgendwie. Als sie sich von ihm löste, verfing sich ihr Haar an einem der zahllosen Metallringe seines Kettenhemds. Durch die zersausten Strähnen ihrer Haare starrten sie einander an. Dann beugte er sich
mit einem leisen Seufzen zu ihr herunter und begann Strähne um Strähne aus der Umklammerung der Metallringe zu lösen. Gwyn wartete geduldig.
»Mit diesem Haar könnte man die Ladung auf einem Schiff festzurren«, murmelte er, während er einen besonders hartnäckigen Knoten löste.
Eine prickelnde, wohltuende Wärme umschloss ihr Herz, und sie seufzte. Als er den Blick hob und sie durch das Haargewirr anblickte, bemerkte Gwyn, dass er überraschend lange Wimpern hatte. »Geht es Euch gut, Mistress?«
Der Sehmerz in ihrem Hinterkopf begann in ihre Stirn zu wandern. »Sehr gut.«
Er löste den letzten Knoten und strich ihr das Haar glatt, das in weichen Wellen ihr Gesicht umrahmte. »Ihr hättet doch einfach davonfliegen können.« Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr, als er sprach.
»W.. .wie bitte?«
»Ihr hättet einfach davonfliegen können, um den Häschern zu entkommen. Euer Haar ist weich wie die Federn eines Vogels und so schwarz wie das Gefieder eines Raben.«
Gwyn wollte etwas erwidern, als die Übelkeit sie erneut packte. Sie stöhnte leise, als sich ein stechender Schmerz in ihrem Kopf ausbreitete. »Mein Kopf tut weh.«
»Seid vorsichtig, wenn Ihr euch bewegt.«
Sie presste die Hände gegen die Schläfen. Bittere Galle sammelte sich in ihrem Mund. »Bei allen Heiligen, ich bin eine solche Närrin«, murmelte sie.
»Wir alle sind hin und wieder Narren. Ich selbst mehr als alle anderen.«
Sie konnte darauf nichts erwidern. Ihr Magen hob sich, schien zu brodeln und überzukochen. Beim heiligen Judas, sie konnte sich doch nicht mitten auf der Straße übergeben!
»O Gott«, stöhnte sie leise. Ihr Kopf sank zur Seite.
Der Fremde half Gwyn, sich hinzuknien. Sie stützte sich auf die Hände und hockte wie ein Hund auf der Straße. Dabei wiegte sie sich vor und zurück und stöhnte leise.
»Nun macht schon«, sagte er und hob ihr Haar hoch, das ihr ins Gesicht gefallen war. Er schob es ihr hinter die Ohren, hielt es dann aber mit einer Hand hoch, als einzelne Locken sich immer wieder lösten.
»Ich kann nicht!«, stieß sie hervor - und übergab sich.
Danach führte er sie zu einem hohlen Baumstamm, in dem sich frisches Regenwasser gesammelt hatte, und half ihr, sich Gesicht und Hände zu säubern. Er kühlte ihr den Kopf und brachte sie zweimal zum Lachen - was mehr war, als sie unter diesen Umständen hatte erwarten können.
»Also dann«, sagte sie mit zittriger Stimme, nachdem sie fertig waren. »Ich denke, wir können uns jetzt der Verteidigung der Brücke widmen.«
Einen Moment lang starrte er sie an. Dann begann er zu lachen und offenbarte seine geraden weißen Zähne. Es war ein tiefes selbstbewusstes und sehr männliches Lachen. »Sie hätten gegen uns keine Chance, Grünauge.«
Sie lächelte schwach. »Nein, nicht einmal die kleinste«, sagte sie und verlor das Bewusstsein.
6. KAPITEL
Als Gwyn wieder zu sich kam, saß sie auf etwas Weichem. Moos. Sie fuhr mit den Fingern darüber und merkte erst jetzt, dass sie mit dem Rücken gegen einen rauen Baumstamm gelehnt saß. Ihr Retter kauerte vor ihr auf den Fersen und beobachtete sie aufmerksam.
»Wie lange?«, murmelte sie. Ihre Stimme klang gebrochen.
Er zuckte mit den Schultern. »Einen Augenblick nur oder zwei.«
»Du lieber Himmel.« Sie richtete sich kerzengerade auf. »Ich möchte mich dafür entschuldigen.«
Er stand auf und wischte seine Hände an den Oberschenkeln ab. »Das müsst Ihr nicht. Euch ist ein großer Schrecken widerfahren. Ihr hattet einen Kampf zu bestehen und hättet beinahe geheiratet. Das reicht, um jede Jungfer ohnmächtig werden zu lassen.«
»Ich bin nicht ohnmächtig geworden«, widersprach sie und
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