Die Vergangenheit des Regens
jedoch gab keine Ruhe. Nachdem Tegden und Kinjo wieder in Sicherheit waren, nahm er Tegden das Seil ab und glitt kontrolliert in die Tiefe, lediglich an der Schlinge über dem Felsblock gesichert. Als er die Kante erreichte, hinter der Bestar verschwunden war, bremste er sich ab und blickte hinunter.
Bestar war nicht in die Tiefe gestürzt. Er hing einen halben Schritt unterhalb der Kante an einem Riss im Gestein. Er sah grau und zerzaust aus, die ganze kleine Staublawine war über ihn hinweggepoltert. Unter Bestar ging es lediglich drei Schritt senkrecht in die Tiefe, darunter kam wieder eine schräge Ebene, aber auch drei Schritt waren hoch auf hartem Fels, der daraufhin ebenfalls ins Rutschen geraten und einen noch weiter mit hinabreiÃen konnte.
»Ich bin da!«, keuchte Rodraeg. »Hier kommt ein Stück Seil. Kannst du es greifen?«
»Ich traue mich nicht, mich zu bewegen«, gab Bestar zu. Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. »Alles splittert hier wie Glas.«
»Ganz egal. Halt dich am Seil fest, dann haben wir dich zu dritt, und wenn der ganze Berg zerbirst, das braucht dich nicht zu kümmern.«
Ohne zu ihm aufzusehen, fasste Bestar nach dem Seil. »Wir haben ihn!«, rief Rodraeg nach oben. »Haltet das Seil, bis ich bei euch angekommen bin!« So schnell er konnte, kraxelte er auf allen vieren zu Tegden und Kinjo zurück, die aus möglichst stabilem Halt das Seil sicherten. Dann legten sie sich zu dritt ins Zeug, um den schweren Klippenwälder über die Kante zu wuchten. Sobald die Kante überwunden war, konnte Bestar auch wieder mithelfen und zu ihnen nach oben kriechen.
Sie verschnauften. Bestars Finger bluteten, und Tegden hatte sich beim Aufprall nach dem Sturz Ellenbogen und Handgelenk geprellt, aber sie waren alle noch bewegungsfähig. Mehr oder weniger.
»Rodraeg?«, fragte Bestar nach einer Weile.
»Ja?«
»Warum klettern wir hier eigentlich hoch? Ich meine, was gibt es hier? Die Gataten sind nicht hier oben, die sind alle dort unten niedergemacht worden.«
Kinjo antwortete an Rodraegs statt: »Was immer die Gataten sich von diesem Berg versprochen haben, das suchen wir ebenfalls. Vielleicht das Geheimnis dieser Wolke. Vielleicht ist hier oben aller Regen gefangen.«
»Vielleicht ist hier aber auch gar nichts auÃer einer mörderischen Kletterpartie«, sagte Bestar.
»Vielleicht«, stimmte Rodraeg ihm zu. »Vielleicht geht es wirklich nicht um den Berg an sich. Aber vielleicht werden wir von hier oben etwas sehen, was wir unten nie gefunden hätten.«
»Was auch immer«, brummte Tegden, »es sieht so aus, als kämen wir hier nicht mehr weiter. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, diese Wand noch einmal mit einem Haken zu ersteigen. Und ohne Haken schon gar nicht.«
»Ich weiÃ, was wir machen«, sagte Bestar plötzlich und erhob sich. Langsam zog er das Erzschwert Skergatlu aus der Scheide. »Wenn hier ohnehin alles so lächerlich mürbe ist, dann mache ich uns eben Kletterlöcher, wie unten im Ameisentempel in dem einen Schacht. Wäre doch gelacht, wenn dieses Schwert das nicht schaffen würde.«
»Das wird viele Stunden dauern«, gab Kinjo zu bedenken, und Rodraeg ergänzte: »Pass auf, dass dir Skergatlu nicht zerbricht!«
Doch der Klippenwälder zuckte nur die Schultern und machte sich an die Arbeit. »Es dunkelt ohnehin bald«, sagte er. »Legt euch schlafen, wenn ihr euch ausruhen wollt! Ich habe zu tun.«
Die ganze Nacht hackte Bestar Kerben ins Gestein. Das Licht der Sterne reichte ihm dazu, er brauchte ja nichts weiter zu sehen als das, was er auch unmittelbar fühlen konnte. Er musste in die Wand steigen, um weiter oben hacken zu können, aber er schlug die Kerben tief genug, um sich sogar mit einer Hinterbacke hineinsetzen zu können. Fortwährend sprangen ihm Splitter um die Ohren, und er war froh, dass er einen Vollbart trug. So blieb wenigstens die untere Hälfte seines Gesichtes von Schrammen verschont.
Rodraeg, Kinjo und Tegden lagerten unterhalb der Wand in einem Bereich, in den nicht allzu viele Splitter vordrangen. An echten Schlaf war bei dem Krach nicht zu denken, aber die Erschöpfung lieà sie doch alle in Traumgefilde absinken und wieder hochtauchen, absinken und wieder nach oben schnellen. Für ihre Geister war das noch zermürbender als Wachbleiben, aber ihre schmerzenden Finger, Muskeln und Knochen
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