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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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des südwestlichen Regenwaldes schien jegliches Maß für Machbarkeiten verloren zu haben. Angetrieben von einer Wut, die gleichzeitig Verzweiflung und Hilflosigkeit war und die sein Gesicht zur ständigen Grimasse eines weinenden Kindes verzerrte, mutete er sich jeden Aufstieg, jedes Seilklettern, jedes Hangeln und jedes Schwingen zu, scheiterte jedes Mal und konnte von Bestar und Tegden nur unter schweißtreibenden Mühen gerettet werden. Kinjo schien den Tod zu suchen, diese Tatsache aber durch fadenscheinige Waghalsigkeit bemänteln zu wollen.
    Mehrmals lösten sie beim Klettern kleinere Lawinen aus. In Sorge um die unten lagernden Gefährten umrundeten sie schließlich den Berg um etwa ein Sechstel seines Umfangs und stellten dabei fest, dass man leichter vorankam, wenn man sich in einer Spirale um den Berg herum aufwärtsschraubte, als wenn man halsstarrig den kürzesten Aufstieg suchte.
    Die Hauptschwierigkeit bestand in der Brüchigkeit des gelblichen Kalkfelsens. Einige Male schleuderte Bestar einen Haken aufwärts, der sich auch festfraß, aber beim Überprüfen der Festigkeit riss er ihn mitsamt dem Gestein einfach wieder herunter. »Ich bin zu schwer für diesen Dreck«, ächzte er mehrmals. »Bei uns zu Hause ist der Felsen härter. Ohne mich kämt ihr Leichtgewichte viel besser vorwärts.«
    Â»Du bist der Einzige von uns, der andere mühelos nachziehen kann«, sagte Tegden und lächelte ihm zu. »Wenn du umkehrst, gebe ich ebenfalls auf.«
    Sie mühten sich voran. Über ihnen die Wolke schimmerte im strahlenden Sonnenlicht, ohne jemals ihre Form zu verändern. Manchmal sah sie aus wie Schnee, verhieß Kühlung und Trinkwasser. Dann wieder war sie eindeutig Rauch. Ein Berg aus uralter Zeit kurz vor der Eruption. Die Besteiger konnten sich nie sicher sein.
    Nach zwei Stunden ging es nicht mehr weiter. Die Grate, denen sie gefolgt waren, wuchsen sich ein in den Fels und wurden eins mit der Wand.
    Rodraeg spürte die ausgestandene Schlacht in jedem einzelnen Muskel. Furcht, die sich in ihm verlaufen hatte und nie zum Vorschein gekommen war, machte sich nun bemerkbar. Die Höhe war schwindelerregend. Sie waren schon mehr als hundert Schritt über dem Wald. Das Braun der vertrockneten Bäume wurde im Zurückbleiben zu einer Fläche klumpigen Sandes. Der Kopf der Königin Umsilika war nirgendwo zu sehen, aber so weit das Auge reichte, gab es auch kein Grün mehr, keinen Saft, kein Leben, keine Hoffnung. Keine Vögel, selbst nicht in der Höhe. Keine Wolken am Himmel außer der, die der Berg aus sich selbst hervoratmete.
    Jetzt schlug die große Stunde des Tegden Baudo. Bestar war zu schwer, um eine senkrechte Wand erklettern zu können. Seine Rüstung und das Erzschwert behinderten ihn zusätzlich. Doch abergläubisch war er der Meinung, Skergatlu weise ihn als einen Verbündeten der Berge aus, und solange er das Schwert bei sich trug, würde er in dieser Wand nicht verunglücken.
    Tegden dagegen hatte keinerlei schwere Ausrüstung zu tragen und war auch insgesamt leichter und wendiger als Bestar. Er nahm lediglich das dünne Spezialseil des Schatzfinders mit sich und enterte auf, ohne vorher einen Haken geworfen zu haben. Insgesamt fünfzig Schritt hoch, durch nackten Fels, von Vorsprung zu Vorsprung sich arbeitend, die Handflächen mit Stoffbahnen umwickelt, die Finger und schließlich auch die Zehen allerdings bloß. Atemlos verfolgten die anderen drei seine Bahn. Auch von ganz unten konnten Tjarka und Jacomer ihn sehen und wagten nicht zu winken und kaum zu atmen. Tegden schürfte sich aufwärts wie eine Eidechse, eine Spinne, eine Ameise. Mehrmals zerrieselte Stein unter seinen Fingern zu Staub, aber immer wieder ertastete er Felsschuppen, die ihm Halt boten. Er klimmte und stieg in zunehmender Hitze. Endlich erreichte er einen breiten Grat, ein Plateau beinahe, von dem aus auch der weitere Aufstieg deutlich einfacher aussah. Er ließ das Seil dreifach hinab, sodass Bestar nicht nur klettern, sondern sich dabei auch anbinden und sichern konnte, während Tegden ihn von oben in Etappen zog und unterstützte. Trotz dieser Dreifacherleichterung kam Bestar schweißgebadet und rotgesichtig bei Tegden an und schaffte es fast nicht mehr, über die Kante in Sicherheit zu rollen. Erinnerungen an die schreckliche Treppenkletterei in der Höhle des Alten Königs wallten in dem

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