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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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dankten es ihnen.
    Rodraeg dachte viel an das Lager unter ihnen. Die Entfernung war nicht groß, allenfalls vierhundert Schritt, ein Stück weit um den Berg herum. Wahrscheinlich konnten Ijugis, Tjarka und die anderen Bestars Hacken die ganze Nacht über hören und werteten es wahrscheinlich als gutes Zeichen, weil es immerhin von Leben kündete. Feuerschein war dort unten nirgends zu sehen. Der gesamte Wald in seiner Masse war finster und undurchdringlich und schweigsam. Keine Nachtraubtiere, Fledermäuse, Affen. Nicht einmal mehr Insekten. Alles Leben war aus dem Bereich um den Berg gewichen. Als wäre der Berg tatsächlich Dreh- und Angelpunkt der Trockenheit.
    Rodraeg überlegte sich, was er oben zu finden hoffte. Eine heiße Wasserquelle, die verstopft war und in ihrem Druck bis zum Kochen dampfend erhitzt und die mit bloßen Händen befreit werden konnte, sodass das Wasser abkühlte und gleichzeitig den Berg hinunterrann und aufstieg in den Himmel, um sich zu Regen zu wandeln. Einen magischen Kristall oder Stab oder Hebel, den man nur umzulegen brauchte, damit alles wieder ins Lot zurückkehrte und auch die getöteten Kenekenkelu und Gataten sich wieder erhoben, sich den Staub von den Schultern klopften und lachend heimkehrten, das Vergangene als Traum begreifend oder als gelungenen Spaß. Den wahren Eingang zum Reich der sechsköpfigen Insektengöttin, deren gewaltiger Termitenbau dieser Berg war. Einen Topf voll mit Münzen der Sternenwährung, mit denen man sich in irgendeinem verborgenen Laden in Aldava Regen für diese Region kaufen konnte. Den Geist von Riban Leribin, der ihm vergab und ihm sagte, was er als Nächstes zu tun habe. Ein großes Netz voller bunter, gefangener Vögel, von deren Flügeln nach ihrer Freilassung Tau als Regen zur Erde fiel. Eine Inschrift, die Kinjo zu lesen und übersetzen imstande war und die alles erklärte, auch, warum es auf dem Kontinent immer noch Sklavenhandel gab und woran genau Eljazokad gestorben war und wo der Vater von Naenns Tochter sich eigentlich herumtrieb und weshalb sich niemand für das Überleben der Mammuts eingesetzt hatte und wie es möglich sein konnte, dass man todmüde war, aber dennoch nicht einzuschlafen vermochte.

    Im allerersten Licht der Morgendämmerung weckte Bestar sie. »Die Wand ist jetzt kein Hindernis mehr. Aber wenn wir nicht allzu viel Zeit dadurch verlieren wollen, dass ich jetzt auch noch ein Nickerchen mache, sollten wir den Rest jetzt möglichst zügig hinter uns bringen.«
    Die Felsen leuchteten blau in diesem seltsamen Versprechen eines Sonnenscheins. Die vier machten sich auf, und tatsächlich war es nun einfach, die Wand anhand der Kletterkerben zu überwinden.
    Oberhalb begann ein schräges und trügerisches Geröllfeld. Sie bewegten sich umsichtig. Tegden, der vorausging, überprüfte jeden Stein, auf den er seinen Fuß setzen wollte, vorher durch Abklopfen mit dem königlichen Stemmeisen. Mindestens zwanzigmal löste er damit kleinere Lawinen aus, aber die vier Bergsteiger selbst umgingen dadurch die Gefahr.
    Danach kam wieder eine Kletterpartie, die gut einhundert Schritt in die Höhe führte, aber nicht senkrecht, sondern zerklüftet, vielgestaltig und verhältnismäßig gut steigbar war. Die Nebelwolke kam näher, wirkte nun schon beinahe greifbar. Sie bestand nicht aus Wirbeln oder Bewegungen, sondern saß massiv und wuchtig wie eine überdimensionierte Krone auf der Spitze des Berges. Allerdings gleißte sie umso heller, je höher die Sonne in den Himmel stieg. Sie blendete regelrecht, und die strapazierten Augen der Kletterer vermeinten in ihr alle Farben des Regenbogens schimmern zu sehen. Der Aufstieg wurde nun beinahe zu einem Wettlauf zwischen den Kletterern und der Sonne. Sie wollten die Wolke erreichen und in ihre dämpfende Seligkeit eintauchen, bevor die Sonne oberhalb der Wolke in den Zenit stieg und diese in eine himmlische Detonation aus unerträglicher Helligkeit verwandelte.
    Schweiß lief ihnen über die Gesichter und die Handinnenflächen. Aber wenn sie sich anschauten, grinsten sie wild vor der schwindelerregenden Tiefe ringsum. Rodraeg und Kinjo waren noch niemals zuvor so hoch über der Welt gewesen und verspürten beinahe Trunkenheit in ihren Köpfen, während Bestar und Tegden sich wohlfühlten, weil dieser Berg eine echte Herausforderung darstellte, die nun schon so

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