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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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konnte ein unwillkürliches Schaudern nicht unterdrücken. Wenn diese Spinne auch nur annähernd so schnell und behende war wie ihre kleineren Artgenossen, würden sie keine Chance haben in einem Gefecht. Überhaupt keine.
    Am sichersten wäre es gewesen, mit Feuer zu arbeiten. Aber dann würden die Bago-Trommel und der gesamte Trockenwald mitverbrennen.
    Ijugis begann nun damit, die neun Speere, die er in den letzten Tagen geschnitzt hatte, zu verteilen. Einen an Tegden, einen an Rodraeg, einen an Migal, einen an Bestar, einen an Onouk, einen behielt er. Drei blieben noch übrig, die steckte er neben sich in den harten, ausgelaugten Boden. »Also, der Plan sieht folgendermaßen aus«, erläuterte er. Er war nun wieder ganz in seinem Element. Der Erdbeben -Anführer, der einen Schlachtplan entwarf gegen etwas, das Übermacht oder übermächtig war. »Wir locken es an mit Opfergezappel. Wenn es dann ankommt, werfen wir die Speere. Möglichst auf die Augen oder auf sonst wie empfindliche Stellen, vielleicht reicht das ja schon. Wenn nicht, nehmen Tegden, Onouk und ich die drei anderen Speere für den Nahkampf. Bestar und Migal gehen mit ihren Schwertern in das Vieh rein. Rodraeg, du kannst tun und lassen, was du möchtest, aber mit deinem Messer wirst du wohl nicht viel ausrichten können. Kinjo, du gehst nach hinten und hältst dich raus, denn du musst schließlich hinterher mit dem Stab die Bago schlagen. Alles klar? Dann los. Lasst uns diesen Wald zum Weinen bringen!«
    Ijugis stellte seinen Fuß auf einen der klebrigen Fäden und begann daran zu rütteln. Er bekam den Fuß wieder los, aber nur mit Mühe. Die Spinne rührte sich nicht. Ijugis stellte den Fuß wieder auf das Netz und tanzte darauf herum. Nichts passierte.
    Â»Vielleicht ist sie schon tot«, machte Rodraeg seiner Hoffnung Luft. »Manchmal sieht man die toten Hüllen von Spinnen noch irgendwo herumliegen …«
    Â»Aber nicht in Lauerstellung mitten im Netz«, verneinte Ijugis. »Nein, nein, es ist nicht echt genug, das ist das Problem. Habt ihr schon mal bei einer Netzspinne mit einem Grashalm am Netz gewackelt? Die Spinne fällt nie drauf rein, sondern zieht sich lieber argwöhnisch zurück. Ich fühle mich nicht an wie jemand, der wirklich in die Falle gegangen ist. Ich muss drastischer werden.« Ohne einen Einwand der anderen abzuwarten, sprang Ijugis nach vorne in das den Boden bedeckende Netzgeflecht hinein und ließ sich dann nach hinten auf den Rücken fallen. Seine Beine und sein Oberkörper klebten nun fest, aber er konnte wenigstens noch die Arme mit dem Speer zur Gegenwehr erheben.
    Durch die Spinnenbeine ging ein Ruck. Sie fächerten sich ein Stück weit auseinander, spreizten sich auf. Im Inneren der Trommel wurde für einen Moment ein massiver Umriss sichtbar, dann kam wieder alles zur Ruhe.
    Ausnahmslos allen rieselte Gänsehaut über die schweißbedeckten Leiber.
    Â»Scheiße!«, ächzte Ijugis. »Für einen allein rührt sie sich noch nicht raus. Ich brauche noch einen Freiwilligen, aber nicht du, Onouk. Ich verbiete dir einen solchen Wahnwitz, ich habe keine Ahnung, ob ich mich überhaupt noch richtig wehren kann.«
    In Rodraeg stritten zwei Stimmen miteinander. Die eine Stimme forderte ihn auf, es Ijugis gleichzutun, Verantwortung zu übernehmen, sich als Opfer anzubieten, wenn er schon nicht richtig kämpfen konnte, sinnvoll in den Tod zu gehen, das in diesem Wald vergossene Blut von sich zu waschen, den anderen zu helfen, Mut zu zeigen. Die andere Stimme sagte einfach nur, dass Delphior ihm doch so viel Verantwortung übertragen hatte, dass etwas Unbegreifliches namens Konkreszenz seiner harrte.
    Â»Ich würde mich ja anbieten«, sagte Migal, »aber ich kann mit den Beinen nicht zappeln, und wenn ich meine Arme auch ins Netz lege, bin ich völlig wehrlos.«
    Â»Ja, das bringt nichts«, stimmte Tegden zu, und wollte sich gerade ins Netz stürzen, als Onouk ihm zuvorkam.
    Â»Weil du es mir verboten hast, du Mistkerl«, sagte sie wütend zu Ijugis. »Du weißt genau, dass ich mir von niemandem etwas verbieten lasse.«
    Ijugis knurrte wie ein verwundeter Wolf. Dann begannen die beiden wie wild zu zappeln. Rodraeg konnte gar nicht mehr erkennen, ob sie nur so taten oder ob sie sich tatsächlich in Todesangst hineinsteigerten. Die Spinnenbeine blieben aufgefächert und

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