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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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unablässig fort. Er war nun nicht mehr Herr seiner selbst, war von Geistern oder dem Klang an sich erfasst, sein schlanker, verletzlicher Körper ein geschmeidiges Hebelwerkzeug, um den Schlegel wieder und wieder an das Instrument zu bringen.
    Es dröhnte nun unablässig. Und in das Donnern der Trommel mischte sich himmlischer Widerhall. Das Firmament verfinsterte sich. Nicht weiße, sondern dunkelhäutige Wolken wurden aus sich selbst heraus geboren. Rodraeg fragte sich, ob das überhaupt noch Magie war, oder ob es nicht regnen musste , weil das Dröhnen den Himmel in seine Bestandteile zerriss.
    Dann donnerte es oben unverkennbar. Blitze zuckten feinstverästelt über das sichtbare Himmelszelt. Sie kamen nicht nieder, sie blieben unter sich und stachelten sich gegenseitig an zu Lust und Wut. Die Wolkendecke zog zu, hatte nun die Farbe einer Schiefertafel. Blau gab es nicht mehr. Sogar Bestars Augen flackerten nun dunkelgrau.
    Die ersten Tropfen waren wie Flecken auf dem Netz und dem hart gebrannten Boden, wie Fehler, wie Einbildungen. Die ersten Treffer auf den Körpern der Anwesenden schmerzhaft kalte Insektenstiche. Dann rauschte das Wasser herab wie das gekappte Segel eines Schiffes. Es gab tatsächlich das unbegreifliche Geräusch fallenden Alls, bevor die Wassermassen den Boden erreichten. Von einem Sandstrichbruchteil zum nächsten war alles nass und niedergedrückt. Sämtliche Konturen verschmolzen. Die Wolken brachen und ergossen eine Sturzflut über den verdurstenden Wald. Wind peitschte den Regen noch zusätzlich umher, als sei er nicht ohnehin schon Wahnsinn, Überschwang, myriadenfach zerbrochenes Licht und das süßeste Weinen aller Welten.
    Ijugis konnte nicht mehr aufhören zu lachen, und Rodraeg und Bestar fielen mit ein. Dieses Wasser war besser als alles, was sie sich zu erhoffen gewagt hatten. Es erfrischte und kühlte die geschundenen Leiber, wusch Blut und Dreck hinfort, und es stillte den Durst der wie im Staunen weit aufgerissenen Münder. Sie alle tranken sich satt am Himmel und hatten das Gefühl, nie etwas Köstlicheres, Göttlicheres zu sich genommen zu haben.
    Kinjo wagte nicht, mit dem Trommeln aufzuhören, aus Angst, der Wasserstrom könnte versiegen. Es war Tegden, der schließlich zu ihm hintrat und ihn sanft von der Trommel löste. »Beruhige dich, Kinjo!«, sagte er lächelnd. »Der Anfang ist gemacht. Alles nimmt nun seinen Lauf.«
    Ijugis und Onouk wagten eng umschlungen und einander leidenschaftlich küssend ein Tänzchen auf dem sich unter der Gewalt des Regens wie Zuckerwerk auflösenden Spinnennetz. Rodraeg und Bestar und Tjarka fanden sich plötzlich ebenfalls, sich an den Händen haltend, wie Kinder einen Ringelreihen tanzend. Es gab keine Musik dazu. Aber das unaufhörliche Brausen des Wolkenbruchs klang wie die Summe aller denkbaren Instrumente und Melodien. Der Regenwald war zurückgekehrt, die Königin Umsilika zeigte ihr nasses, fröhliches Gesicht, die Ameisen trieben auf welken Blättern über den Boden, der die Wassermassen noch gar nicht fassen konnte, sodass sich überall Flüsse und Teiche bildeten und alles in Bewegung geriet, in ein schillerndes, sprudelndes Gleiten unter dem Abenddach der hohen Blitze.

9

Strömungen
    Die Fluten, die sich auf dem hart gebrannten Boden Wege bahnten, erwiesen sich als gar nicht so ungefährlich.
    Migal kümmerte sich um den liegenden Ukas und richtete ihn halbwegs auf, damit dieser nicht ertrank. Dann schafften Tegden, Rodraeg und Bestar die beiden in die Bago hinein, wo sie alle fürs Erste einen Unterschlupf fanden, während unablässig Regen auf das alte Holz der liegenden Trommel prasselte.
    Kinjo, der immer noch durchglüht war von dem, was er bewirkt hatte, fand als Erster seine Sprache wieder. »Wir müssen hier weg«, sagte er dringlich. »Hier kann alles Mögliche angeschwemmt werden. Baumstämme. Ameisenheere. Sogar die Riesenspinne selbst.«
    Â»Aber dann ist es doch überall gleich gefährlich«, wandte Ijugis ein.
    Kinjo schüttelte den Kopf. »Ich habe eine Idee, wie wir hier hinauskommen können. Aus dem ganzen Wald, ohne mühseligen tagelangen Marsch durch ein Gelände, das sich schon sehr bald in zähesten Sumpf verwandeln wird. Wenn mich nicht alles täuscht, wird sich in der Rinne, die wir gestern überquert haben, schnell wieder ein Fluss bilden. Das viele

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