Die Vergangenheit des Regens
GröÃeres zu vollbringen. Es hat keinen Sinn, wenn du dich bei solchen kleineren Sachen völlig verausgabst. Tjarka? Wenn ich das richtig begriffen habe, brauchst du kein Licht, um Spuren zu folgen?«
»Brauche ich nicht.«
»Dann können wir auch in der Nacht laufen. Wir kriegen ihn. Los jetzt!«
Die drei Gestalten hetzten hinaus in den Regen, wo alle Konturen nur noch wie schraffiert aussahen, gebeugt, triefend, geschmolzen, verflüssigt, grau in grau unter dem unendlichen Brausen des herniederfallenden Himmelswassers. Noch immer zuckten Blitze durch die Wolken, aber noch immer hielten sich die Blitze unter ihresgleichen auf, kein Einziger von ihnen berührte die Bäume.
Nach nur wenigen Schritten rutschte Tjarka aus und schlug seitlich hin, aber unverdrossen rappelte sie sich auf und rannte schlammverschmiert weiter, als wäre nichts passiert. Auch Onouk konnte sich zweimal abfangen, indem sie sich an vorübergleitenden Bäumen festklammerte. Tegden dagegen hielt sich gut aufrecht, allerdings nur, weil er die beiden Frauen vor sich hatte und ihre Fehltritte vermeiden konnte. Schon nach zweihundert Schritt hatte der auch in der Wildnis nicht unerfahrene Gallikoner die Orientierung so nachhaltig verloren, dass er nicht einmal die Bago hätte wiederfinden können.
Die Verfolgung von Jacomers verregneter Fährte erwies sich als seltsames Unterfangen.
Nicht aufgrund des Regens. Regen spielte nur als ein Element unter vielen eine Rolle bei den Entscheidungen, die Tjarka bei jeder sich bietenden Weggabelung traf. Seltsam war vielmehr, dass Jacomer selbst nicht genau gewusst zu haben schien, wohin er sich eigentlich wenden sollte. Nach zehn Sandstrichen bog er nach rechts ab. Nach fünf weiteren nach links. Nach weiteren zehn Sandstrichen kehrte er plötzlich ganz um und rannte, krabbelte oder kroch in die Richtung zurück, aus der er ursprünglich gekommen war. AnschlieÃend gab es noch vier oder fünf kleinere Richtungsänderungen, die Tjarka jedes Mal alles abverlangten. Und dann endete die Spur. Schwer atmend blieben die drei stehen. Ein entwurzelter Baum trieb auf einer mitten über das Land laufenden Strömung vorüber, als seien seine Ãste die Beine eines TausendfüÃlers.
»Was ist?«, keuchte Tegden. »Ist er von hier auf einen Baumstamm gesprungen?«
»Nein«, sagte Tjarka. Ihr düsteres Gesicht war verhängt von triefendem Wasser. »Die Spur hört hier einfach auf. Genau hier.«
»Was bedeutet das?«, fragte Onouk. »Haben sie ihn umgebracht und hier verscharrt?«
»Nein. Er ist hier nirgends. Er hat aufgehört, er selbst zu sein. Das ist die einzige Erklärung. Ich kann einem Hirsch folgen, den ich noch nie zu Gesicht bekommen habe, und einem Menschen, wenn ich weiÃ, dass es ein Mensch ist. Und je mehr ich über ihn weiÃ, desto leichter wird es. Ich habe Jacomer in den letzten zwei Wochen ziemlich gut kennengelernt. Bei jedem Wetter und auch in der Nacht hätte ich seine Spur finden können. Aber er hat sich verwandelt, und nun bin ich aufgeschmissen. Er hätte von hier aus nach dort und dort und dort und dort und dort gehen können, und ich weià nicht, wohin.«
»Er ist ein Kenekenkelu geworden?«, fragte Onouk.
»Ich weià nicht«, antwortete Tjarka achselzuckend. »Ein Spinnenmensch oder ein Ameisenmensch oder eine Mischform oder etwas Neues. Er kann nicht mehr gefunden werden, von niemandem.«
»Die vielen kleinen Schnitte auf seinem Körper ergaben eine Kriegsbemalung, das ist mir schon gestern aufgefallen«, sagte Tegden. »Die Kenekenkelu haben ihn sich ausgesucht, als Ersatz für die vielen Toten, die wir ihnen zugefügt haben. Vielleicht ist sein Opfer ebenso wichtig gewesen wie das Schlagen der Bago, um den Wald schlussendlich zum VergieÃen von Tränen zu bewegen. Wir sollten Rodraeg fragen. Er weià mehr als wir alle über den Ratschluss der Götter.«
Aber auch Rodraeg wusste keine Antwort, nachdem die drei Verfolger innerhalb von nur zwei Stunden mit leeren Händen in die Bago zurückgekehrt waren.
Die Nacht über prasselten Millionen kleinster Trommelschläge gegen die Bago. Schlaf war flüchtig. Ijugis hielt Ausschau nach der Riesenspinne, aber keiner der gröÃeren Schemen bewegte sich anders als anerkennend nickend unter dem Regen. Der Grund des Waldes verwandelte sich langsam in einen gewaltigen See, auf
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