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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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schnitt Bestar und Ukis immer wieder abwechselnd los, sodass beide gleichzeitig fertig waren. Hunderte von Ameisen krochen bereits auf beiden herum. Unter der von Tjarka verschmierten Paste und dem Dreck war nicht zu erkennen, ob sich bereits erste Wunden oder sogar wespenartige Fraßhöhlen bildeten. »Los jetzt!«, kommandierte Tegden heiser und griff sich Ukas. Tjarka packte Bestar an seinen Schulterfesseln, vermochte ihn aber kaum zu bewegen und strauchelte stattdessen im Halbkreis herum. Tegden half ihr, indem er mit einer Hand nach Bestar fasste und den massigen Ukas nur noch einhändig zerrte. Zu zweit kamen sie mit den beiden Hünen voran. Dennoch brach Tjarka zweimal in den Knien ein. »Weiter, weiter!«, mutete Tegden ihr zu. »Die Laterne! Ich habe … die Laterne stehen lassen …« – »Die wird schon nicht gefressen werden. Die können wir uns morgen noch holen.« – »Aber … das Feuer! Wenn die Ameisen in Brand geraten und das Feuer sich ausbreitet!« – »Ameisen sind doch nicht brennbar, oder?« – »Ich weiß es nicht, ich … Rodraeg würde das Risiko nicht eingehen …« Tjarka ließ Bestar los und lief zurück, mitten in das ausgelassen in den grünen Pfützen wimmelnde Volk der Utté hinein. Die Ovale mit den drei sich kreuzenden Linien. Eigentlich keine Ovale, sondern aus drei Segmenten filigran zusammengefügte Körper. Drei Ovale und sechs Strahlen, aber mit den Fühlern dann doch wie acht Strahlen aussehend, wie die acht Beine einer Spinne. Das vorderste Oval zusätzlich mit Scheren wie ein Halbmond. Tjarka roch den Geruch der vielen Körperchen: Ameisensäure, fast wie Harn. Der Einzelne ist nichts. Die Gemeinschaft ist alles. Alles kann segmentiert und transportiert werden und den Nachkommen zur Nahrung dienen. Irgendwo gibt es eine Königin, aber sie ist fern von hier, vertraut uns Kriegern das Beutemachen an.
    Tjarka schüttelte ihre Verwirrung ab, ihr beginnendes Zersplittern in Abermillionen von Einzelleibern. Sie löschte das Licht, um den Wald und auch die Ameisen zu retten, und rannte – beinahe auf allen vieren wie die Spinnenmenschen, die womöglich Ameisen menschen waren, oder bündiger: Amenschen , und vom übrigen Kontinent lediglich missverstanden wurden – zu Tegden zurück. Von dort aus schleppten sie mit hervortretenden Muskeln und Adern Ukas und Bestar bis zur Abbruchkante und wälzten die beiden darüber. Langsam überschlugen sich die Verschnürten zu Tal und verloren dabei hoffentlich die meisten der bereits auf ihnen herumkrabbelnden Ameisen.
    Tegden blickte sich noch einmal um. Die Lichtung war wieder dunkel, laternenlos. Dennoch waren die Utté zu sehen, ein schimmernder Schatten, der alles vereinnahmte wie die Verfärbung des Austrocknens. Eigenartigerweise waren die drei toten Spinnenmenschenwächter sowie auch Tegdens und des Erleuchteten vorherige drei Opfer nirgendwo zu sehen. Entweder hatten die Ameisen sie bereits erreicht, zerstückelt und fortgeschafft, oder die sich zurückziehenden Spinnenmenschen hatten sie heimlich geborgen und mitgenommen, oder sie waren gar nicht richtig tot gewesen – oder aber zu neuem, unheimlich krabbelndem Leben erwacht.
    Beharrlich folgte ein großer Teil der Ameisen den grünen Schleifspuren, die zur Abbruchkante führten. Zuerst nur mit seinen Füßen, dann auch mit einem abgebrochenen Zweig versuchte Tegden, das Grün so gut wie möglich zu verwischen.
    Als die Ameisen ihn schon beinahe erreicht hatten, sprang er an Tjarka, die sich an einem kontrollierten Abstieg versuchte und im Dunkeln scheiterte, vorbei und landete in einer Erdlawine, die ihn bis ganz nach unten umwaberte wie ein staubrauchender Umhang. Enenfe war es als Einzigem gelungen, ohne Sturz nach unten zu gelangen. Er hatte sich bereits den kleinen Jacomer gegriffen und zerrte ihn weiter. Tegden nickte dem Gataten zu. »Zweihundert, dreihundert Schritt noch, dann müsste unser Vorsprung groß genug sein.« Sie konnten sich jetzt zu dritt aufs Schleppen konzentrieren und hatten zehn Menschenbündel zu bewältigen. Im ersten Durchgang brachten sie Jacomer, Ijugis und Onouk in Sicherheit, im zweiten Kinjo, Rodraeg und Timbare. Im dritten Durchgang nahm Enenfe den Erleuchteten, während Tjarka und Tegden gemeinsam Migal schleiften. Dann holten sie Ukas zu dritt und im fünften und letzten

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