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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Anlauf auch Bestar, den Schwersten von allen, ebenfalls zu dritt. Dabei verwischten sie weiterhin die grünen Spuren, die durch das Kullern in den Abgrund bereits lückenhaft und irreführend geworden waren.
    Alle zehn Ohnmächtigen kamen auf einem flachen, natürlich verdorrten Hügel zum Liegen. Tjarka bezog einen Wachposten, während Tegden und Enenfe sich darum kümmerten, die Lebensgeister der zehn Vergifteten zu wecken. Bald wurde Enenfe klar, dass die zehn nicht ihr Bewusstsein verloren hatten, sondern aufgrund des Giftes tief und fest schliefen und sich nicht mehr in Lebensgefahr befanden. Eine volle Stunde später war immer noch keiner von ihnen zu sich gekommen, die Utté jedoch waren nicht mehr aufgetaucht. Offensichtlich hatten die Ameisen die Spur der grünen Paste entweder verloren oder ein lohnenderes Ziel gefunden.

    Für Rodraeg war das Erwachen eine Irritation.
    Er wusste nicht mehr, ob er in seinem Bett im Haus des Mammuts lag, von der Brücke der brennenden Blumen heimgeholt und von Hellas’ Pfeil genesen, ob er sich in der Höhle des Alten Königs befand, wo er auf seinen eigenen toten Körper hinabblickte, ob er in der Schwarzwachsmine in Gefangenschaft erwachte oder vielleicht sogar, über den Stadtgardekommandanten gebeugt, bei dem Versuch, ihn zu ermorden, und im erschütterten Glauben, geträumt zu haben. Rodraeg hatte das Gefühl, zu oft gestorben zu sein in den vergangenen Monden, um noch eine nicht zu hinterfragende Wirklichkeit vorfinden zu können.
    Mit Sicherheit wusste er lediglich, dass der Rodraeg Delbane, den seine Mutter unter Schmerzen zur Welt gebracht hatte, sich in der Höhle des Alten Königs – vergiftet, verbraucht und erschlagen – zu Licht aufgelöst hatte und dass der neue Rodraeg auch nur wenige Tage bis zu Hellas’ Herzschuss überdauert hatte. Der dritte Rodraeg auf der Blumenbrücke war nichts weiter als ein Traum gewesen – aber was war seitdem? Welche Wertigkeit wohnte allem noch inne? Hatte nicht letztlich Eljazokad – wie Bestar und Tjarka ihm berichtet hatten – bewiesen, dass der Kontinent nur eine Maske war, die man jederzeit herunterreißen konnte, um eine noch viel wundervollere und rätselhaftere Welt dahinter zum Vorschein zu bringen?
    Und dennoch schmerzte Rodraegs Leib, dennoch musste er – wie die übrigen neun Niedergeschossenen auch – einen Tag lang mit den Übelkeit erregenden Nachwirkungen des Pfeilgiftes ringen.
    Vielleicht hatte es gar keinen Sinn darüber nachzudenken, wie wirklich man selbst war. Man war wirklich genug, um das Leben zu spüren und daran zu leiden. Der gesamte Kontinent war nichts weiter als ein Übergang von einer alten Welt zur neuen. So wie auch die Kenekenkelu keine Menschen mehr waren, aber noch lange keine Spinnen oder Ameisen. Alles bewegte sich auf Ziele zu, die höchstens ersehnt, im Grunde genommen jedoch unbekannt und unerforscht waren.
    Also konnten sie auch einfach weitermachen, bis sie das dunkle Herz der Tränenlosigkeit gefunden und bezwungen hatten.

4

Die sechs Gesichter der Königin
    Am folgenden Vormittag wollte Timbare alle zum Weitergehen antreiben, ganz so, als wäre nichts passiert. Aber er selbst sackte dreimal in den Knien ein innerhalb der ersten drei Stunden, und noch bevor der Mittag erreicht war, gab er auf. Alle bis auf Tjarka, Tegden und Enenfe waren ächzend herumgetorkelt, Rodraeg einmal voll gegen einen deutlich sichtbaren Baum gelaufen, Migal zweimal umgeknickt und Ukas sogar mehrmals lang hingeschlagen. Selbst Bestar jammerte darüber, einen Kater wie nach einem »unbeschreiblichen Saufgelage« zu haben. Es war offensichtlich, dass das Pfeilgift Kopfschmerzen, Übelkeit, Seh- und Gleichgewichtsstörungen nach sich zog. Deshalb musste ihr gesamter siebter Tag im Urwald der Erholung und dem Ausschlafen gewidmet werden.
    Sie hatten Schwierigkeiten, die grüne Paste loszuwerden, weil sie nicht genügend Wasser hatten, sich zu waschen. Mithilfe von Hunderten noch einigermaßen fleischigen Blättern, die von Enenfe, Jacomer, Tjarka und Kinjo gesammelt worden waren, wischten sie sich, so gut es ging, ab, rochen aber weiterhin nach Essig und Zucker. Darüber hinaus hatten sie nun – zusätzlich zu Enenfes Insektenschutzsalbe – noch vielschichtiger ins Grüne schattierende Gesichtsfarben, die den erfahrenen Söldner Tegden an Tarnbemalungen erinnerten, die

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