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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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zupendeln oder sogar einholen und in unsere Richtung werfen. Lasst uns alle weitergehen!«
    Der gesamte ovale, wie ein Wurm gerippte Gang, den sie nun im Licht ihrer zwei Laternen erkundeten, roch geradezu aggressiv nach Ameisensäure. Tegden und Onouk hielten sich zum Schutz ihre eigenen Unterarme vors Gesicht. Tjarka und Kinjo tränten die Augen. Nur Timbare, Ijugis und Migal wirkten unbeeindruckt.
    Sie gingen voran. Der Stollen war warm wie das Innere eines Leibes, dabei aber vollkommen starr und tot wie ein Skelett. Nach einhundert Schritt brach der Gang abrupt ab und führte beinahe senkrecht in die Tiefe. Kein Schacht wie die vorherigen, aber eine ohne Hilfsmittel unbewältigbar steile Absenkung. Folgerichtig war auch hier ein Seil an einem Haken befestigt und führte hinab.
    Â»Junge, Junge, hat dieser Bursche viel Seil bei sich«, staunte Ijugis.
    Â»Sieh es dir an!«, entgegnete Timbare. »Wie ich schon sagte: Es ist extrem dünn und dabei ungewöhnlich reißfest. Königliches Geheimmaterial. Er trägt eine ganze Rolle davon mit sich herum, mindestens einhundert Schritt.«
    Â»Hast du schon mal einen von diesen … Schatzfindern … kaltgemacht?«
    Â»Nein. Sie sind das deutlich kleinere Übel, verglichen mit Rodungstrupps oder Sklavenfängern.Aber wir haben schon einmal einen der Gegend verwiesen. Wer weiß? Vielleicht ist dies derselbe?«
    Nun kletterten sie alle an dem Seil abwärts. Die Absenkung zog sich über mehr als dreißig Schritt hin. Unten begann ein weiterer waagerechter Gang, der ähnlich niedrig war wie der mit den schwarz-weißen Platten.
    Â»Was mich wundert«, sagte Onouk, »ist: Wenn dies hier einem Ameisenbau nachempfunden ist – weshalb gibt es dann so gut wie keine Abzweigungen? In einem echten Ameisenbau würde man sich doch restlos verirren.«
    Â»Glaubst du«, fragte Kinjo zurück, »wir übersehen Abzweigungen?«
    Â»Und wenn schon!«, unterbrach Timbare. »Wir folgen dem Schatzfinder. Alles andere ist für uns vorerst zweitrangig.«
    Â»Außerdem«, mischte auch Ijugis sich ein, » ist das hier kein Ameisenbau. Das wurde für Menschen angelegt, sowohl für Grabräuber als auch für Priester oder andere, die zum Betreten befugt sind. Hier gibt es einen Endpunkt. Eine Grabkammer oder so was. Mit einem Schatz womöglich, wenn schon ein königlicher Schatzfinder hier herumstrolcht.«
    Â»Was für einen Schatz?«, wollte Onouk wissen.
    Â»Wir werden es sehen«, brummte Timbare.
    Sie passierten eine schwere steinerne Tür, die womöglich verschlossen gewesen war, denn sie besaß eine kompliziert aussehende, zahnrädrige Riegelvorrichtung. Sie bestand aus zwei Flügeln, die jedoch nicht links und rechts, sondern oben und unten angebracht waren. Die Scharniere der Türangeln waren dermaßen schwergängig, dass beide Flügel schräg offen standen, ohne der Schwerkraft nachzugeben.
    Dahinter lag ein weiterhin warmer Gang, so niedrig, dass selbst Tjarka sich bücken musste. Die Laternenlichtkreise glitten hinweg über rötlich-schwarzes Gestein, das gleichzeitig glatt und pockennarbig war.
    Eine zweite Tür, diesmal zerbrochen. Sie hatte ihre Angeln rechts, und genau dort war sie ausgehoben worden.
    Â»Ist das so ein Kraftkerl, dass er einfach Steintüren aus den Angeln heben kann?«, fragte Kinjo.
    Â»Werkzeuge«, brummte Timbare erneut. »Hebel. Stemmeisen. Seile. Immer wieder Seile.«
    Sie gingen weiter. Der Geruch von Ameisensäure wurde wieder stärker. Der Gang verengte und verbreiterte sich abwechselnd. Indem man sich in ihm entlangbewegte, erzeugte man die Illusion, die Wände würden sich bewegen wie eine schluckende Speiseröhre. Aber nichts rührte sich. Der Sauerstoff wurde so knapp, dass die Laternen zu blaken begannen.
    Eine dritte Tür: zwei Flügel, ebenfalls verriegelt gewesen mit sechs Bändern aus unterschiedlichen Materialien. Sämtliche Bänder waren zerschnitten oder mit Hebelkraft gesprengt. Diese Tür war verhältnismäßig leichtgängig. Sie schwankte in ihren Scharnieren, als Timbare sie passierte. Der Gang führte weiter in die stickige Dunkelheit von Braunkohle.
    Jetzt kam ein neuer Geruch hinzu: ein süßlich-saurer Dunst, der Kinjo und auch Onouk in Unruhe versetzte. »Verwesung?«, fragte Tegden. Tjarka nickte. In der Foltergrube von Rugerion Siusan war dieser

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