Die vergessene Frau
Mund. Plötzlich wurde er ganz bleich.
»Heiraten?« Er krächzte das Wort hervor. Im nächsten Moment sprang er so abrupt auf, dass sie auf sein Bett zurückfiel. »Also, wir wollen doch nichts überstürzen.« Er sagte das mit aufgesetzter Fröhlichkeit und bemühte sich sogar, jenes freche Grinsen zu zeigen, das sie inzwischen so gut kannte und mit dem er sie so oft betört hatte. »Du weißt selbst, dass ich kein Mann zum Heiraten bin.«
»Also, das hättest du dir vielleicht überlegen sollen, bevor du mich in dein Bett gelockt hast«, meinte Franny ärgerlich.
Sie starrten sich an. Franny ließ sich nicht von Seans Blick einschüchtern, denn sie war entschlossen, ihn zu beschämen. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie Angst hatte, es könnte explodieren. Würde er sie etwa im Stich lassen? Aber dann veränderte sich seine Miene, und sein Gesicht wurde ernst.
»Du hast recht, mein Schatz«, verkündete er mit schwerer Stimme. »Es wird wirklich Zeit, dass ich Verantwortung übernehme.« Er trat wieder ans Bett und nahm ihre Hand. »Wir werden einen Ausweg finden – gemeinsam. Das verspreche ich dir.«
Sie atmete erleichtert auf, als sie das hörte: Er würde also doch zu ihr halten. Und, redete sie sich zu, war es denn ein Wunder, dass er anfangs so abweisend reagiert hatte? Natürlich musste ihn die Erkenntnis, dass er bald Vater würde, erschrecken. Sie selbst hatte das nicht weniger getroffen.
Nach ihrem Gespräch konnte Franny lang nicht einschlafen, weil ihr endlos im Kopf herumging, was sie besprochen hatten. Ihre Lage war schwierig, aber nicht hoffnungslos. Sie würden sofort heiraten müssen, und natürlich würden sie noch ein paar Monate auf der Farm bleiben müssen, wenigstens bis das Kind zur Welt gekommen war. Doch danach konnten sie weggehen, nur sie drei. Nach England oder Amerika, um dort ein neues Leben zu beginnen. Das hier musste kein schlimmes Ende nehmen. Nicht solange sie einander hatten.
Franny hatte es so eilig, Sean am nächsten Morgen von ihren Plänen zu erzählen, dass sie noch im Dunklen aufstand und zu seiner kleinen Hütte lief. Da er auf ihr Klopfen nicht öffnete, trat sie einfach ein. Drinnen brauchte sie ein paar Sekunden, um zu begreifen, welches Bild sich ihr bot: die nackte Matratze, der leer geräumte Kleiderschrank. Sean war verschwunden. Genauso wie all seine Sachen. Er hatte sie sitzenlassen.
Im ersten Moment war sie so entsetzt, dass sie den auf dem Bett liegenden Umschlag mit ihrem Namen gar nicht sah. Als sie ihn bemerkte, schöpfte sie sofort neue Hoffnung. Vielleicht hatte er ihr Anweisungen hinterlassen, wo sie sich später treffen sollten, legte sie sich zurecht, während sie den Umschlag aufriss; vielleicht wollte er mit ihr durchbrennen und war schon unterwegs, um alle nötigen Vorbereitungen zu treffen. Aber in dem Umschlag lagen nur ein Zettel mit der Anschrift der englischen Engelmacherin, von der er ihr erzählt hatte, und dazu dreißig Schillinge – der Lohn von zwei Wochen Arbeit. Mehr war sie ihm nicht wert?
Einen Moment spielte sie tatsächlich mit dem Gedanken, das Geld nicht zu nehmen. Doch dann siegte die Vernunft über ihren Stolz. Vielleicht wäre es die Sache wert gewesen, wenn sie Sean die Münzen ins Gesicht hätte werfen können, aber er war nicht da, um Zeuge ihrer grandiosen Geste zu werden, darum konnte sie das Geld ebenso gut behalten. Schließlich hatte sie das Gefühl, dass sie in Zukunft jeden Penny brauchen würde, ganz gleich, wie sich alles von nun an entwickelte. Darum steckte sie den Brief vorn in ihre Bluse und schlich, von Sorgen schwer gebeugt, ein letztes Mal aus seiner Hütte.
Franny brachte es nicht über sich, Pater Brian alle ihre Sünden zu beichten. Folglich leistete sie Buße für das, was sie gebeichtet hatte – zehn Ave Maria, vier Vaterunser und ein Bußgebet –, und kehrte danach heim. Es war Freitag, also gab es Fisch zum Abendessen. Sobald sie in den Flur trat, schlug ihr der Geruch von gekochtem Kabeljau entgegen. Sie ertrug den Gestank selbst an ihren besten Tagen kaum, aber in ihrem augenblicklichen Zustand setzte er ihr noch mehr zu als sonst. Das bedeutete, dass sie sich problemlos krank stellen konnte und weder etwas zu essen noch zu reden brauchte. Sie saß einfach still da, kaute an einem trockenen Stück Brot und trank dünnen Tee, während der Rest der Familie über den vergangenen Tag sprach.
Noch war niemandem aufgefallen, dass Sean nicht mehr da war. Heute war sein freier Tag, und den
Weitere Kostenlose Bücher