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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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Versammlungssaal gerufen. Cara erkannte schon an den ernsten Mienen der Nonnen, was sie wahrscheinlich sagen würden.
    Sie sollte recht behalten. Niamh war tot. In der Nacht zum Sonntag hatte sie sich aus Castle Glen hinausgeschlichen. Soweit die Polizei feststellen konnte, hatte sie in den Ort gewollt. Sie hatte den Weg über den See abkürzen wollen, und dabei war das Eis eingebrochen. Schwester Concepta beschränkte die Details auf das Nötigste und teilte den Mädchen nur die Fakten mit. Aber während der nächsten Tage sickerten immer neue Gerüchte aus der Außenwelt durch, ins Haus getragen von den Tagelöhnern und Lieferjungen, die ins Waisenhaus kamen. Ein übereifriges Mädchen aus der Spülküche, das mit einem jungen Polizisten befreundet war, erzählte Cara und einer Gruppe von vor Neugier geifernden Köchinnen, Niamh wäre in den See gefallen und ertrunken, es aber in der Nacht so kalt geworden wäre, dass das Wasser hinterher wieder gefroren war. Das bedeutete, dass die Polizei stundenlang nach dem Mädchen gesucht hatte, bis endlich jemand auf den Gedanken kam, am See nachzusehen. Dabei stieß man auf Niamhs Leichnam, der unter dem Eis gefangen war.
    »Das ist eine richtige Tragödie, nichts anderes«, verkündete das Mädchen mit gespielter Erschütterung. Es war sichtlich glücklich, endlich im Mittelpunkt zu stehen, nachdem dieses spannende Ereignis die Monotonie seines freudlosen Lebens durchbrochen hatte. »Weiß der Himmel, was die Kleine in einer so kalten Nacht da draußen zu suchen hatte, wo sie doch in diesem schönen Haus schlafen konnte.«
    »Bestimmt hat sie sich davongeschlichen, um sich mit einem Jungen zu treffen«, meinte eine der Köchinnen weise.
    Die anderen murmelten zustimmend und staunten über die Dummheit der Jugend.
    Nur Cara kannte die Wahrheit. Niamh hatte versucht, vor James Buchanan zu fliehen.
    Die Trauerfeier für Niamh wurde zwei Tage darauf abgehalten. Cara war zu benommen, um darauf zu reagieren: erst ihre Mutter, dann ihre Großmutter und jetzt ihre beste Freundin. Sie hatte den Eindruck, dass ihr jeder geraubt wurde, der ihr im Leben wichtig war. Niamhs Verwandte machten sich nicht die Mühe, zu ihrer Beisetzung nach Irland zu kommen; stattdessen würden sie in ihrer englischen Kirche eine Messe für Niamh lesen lassen. Das Schlimmste war, dass auch die Buchanans gekommen waren. Cara starrte ihnen zornentbrannt nach, als sie durch den Gang zu ihrem Platz in der vordersten Bank schritten.
    Der Priester erhob sich, um den Nachruf zu halten. Mehrere Minuten ließ er sich über die scheinbare Sinnlosigkeit aus, dass ein so junges Leben von ihnen genommen worden war, und über den Plan, den Gott für jeden Einzelnen hatte, dann riet er der Gemeinde, Trost in dem Wissen zu suchen, dass das Kind nun bei seinem himmlischen Vater war. Obwohl Cara nicht wusste, wie viel sie davon wirklich glaubte, war es angenehm, ihn reden zu hören. Erst als er bei seiner Rede persönlicher wurde, kochte der Ärger hoch, der seit Tagen in ihr gebrodelt hatte.
    »Wir werden nie wissen, was in jener schrecklichen Nacht im Kopf der jungen Niamh vorging«, tönte er von der Kanzel herab. »Die Buchanans« – er hielt kurz inne und lächelte wohlwollend auf das Paar in der ersten Reihe hinab, woraufhin James schützend den Arm um seine weinende Frau legte –, »die Buchanans waren so großherzig, dem Mädchen eine Gelegenheit zu geben, für ein paar Stunden aus dem Waisenhaus wegzukommen. Wer weiß schon, was einen so jungen Geist bewegt, aber aus einem unerfindlichen Grund trat das Mädchen die Gastfreundschaft dieser Menschen mit Füßen und wanderte allein in die Nacht hinaus. Wenn es geblieben wäre, wäre dieser schreckliche Unfall vielleicht nie passiert.«
    Cara ertrug die Heuchelei nicht mehr.
    »Das war kein Unfall!«, rief sie plötzlich und ohne wirklich zu begreifen, was sie da tat. Der Priester verstummte, und die ganze Gemeinde drehte sich zu ihr um.
    »Cara!«, zischte Schwester Agnes und legte mahnend eine Hand auf ihren Arm.
    Doch Cara wusste, dass sie nicht zurückkonnte. Unsicher stand sie auf, entschlossen, sich diese Last von der Seele zu reden. »Niamh ist gestorben, weil sie vor Ihnen fliehen wollte!« Sie zeigte auf James Buchanan. »Weil sie es nicht mehr aushielt, was Sie ihr antaten. Sie haben ihr Leben auf dem Gewissen. Und nicht nur Sie allein.« Sie schwenkte die Hand zu Schwester Concepta. »Sie sind genauso schuld, weil Sie ihr nicht zuhören wollten. Sie

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