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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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wollte Ihnen erzählen, was er ihr angetan hat, aber Sie haben sie wieder zu ihm geschickt.«
    Inzwischen schluchzte sie so, dass sie unter ihren Tränen kaum noch sprechen konnte, und weinte so sehr, dass sie nicht merkte, wie sich Schwester Jude und Schwester Bernadette von hinten anschlichen. »Niamh hätte nicht sterben müssen, wenn ihr jemand zugehört hätte«, fuhr sie fort. »Wenn ich ihr zugehört hätte. Wir sind alle schuld an ihrem Tod. Ich hätte mich mehr um sie bemühen müssen …«
    In diesem Moment packten die beiden Nonnen Cara an den Armen. Inzwischen war sie so aufgelöst, dass sie sich nicht mehr wehrte. Während sie aus der Kirche geschleift wurde, sagte sie immer wieder: »Ich bin schuld, dass sie jetzt tot ist. Ich bin daran schuld.«
    Schwester Agnes ängstigte sich um Cara. Nach dem Vorfall in der Kirche hatte Schwester Concepta befohlen, das Mädchen in die Schweigekammer zu sperren. Seit vier Tagen hockte es nun in der Dunkelheit, und in dieser Zeit hatte es nichts als etwas Wasser bekommen: dreimal am Tag eine Tasse. Schwester Jude war beauftragt worden, die Strafe zu vollziehen, daher hatte sich Schwester Agnes erst jetzt hinunterschleichen können, um nach dem Mädchen zu sehen. Aber sie sah Cara an, dass die schreckliche Strafe ihren Tribut forderte. Offene Wunden überzogen inzwischen ihren Mund, und sie konnte kaum noch verständlich sprechen. Da Cara den Kopf nicht mehr heben konnte, musste Schwester Agnes dem Mädchen die Wasserschale an den Mund halten. Cara nahm einen gierigen Schluck und hustete im nächsten Moment die Hälfte wieder aus.
    Die Nonne war von Natur aus eine schlichte, gottesfürchtige Frau, die ganz allgemein an das Gute im Menschen und ganz besonders an das Gute in der Kirche glaubte. Doch die Ereignisse der letzten Tage hatten ihren Glauben an die Menschheit erschüttert. Was Schwester Concepta auch antreiben mochte, sie schien alles daran zu setzen, Cara zu vernichten. Das Mädchen war halb verhungert und kurz vor dem Verdursten und brauchte dringend einen Arzt. Schwester Agnes hatte vorhin mit ihrer Vorgesetzten zu reden versucht, aber Schwester Concepta hatte sich geweigert, ihr zuzuhören. Deswegen war sie nun hier.
    »Du musst von hier verschwinden, Cara«, flüsterte die junge Nonne drängend. »Du musst fliehen. Noch heute Nacht. Ich werde dir dabei helfen.«
    An dem Plan feilte Schwester Agnes schon seit einigen Tagen. Sie hatte einen Bruder, erklärte sie Cara jetzt, der sein Geld als Matrose verdiente. Er hatte sich bereiterklärt, Cara auf sein Schiff zu schmuggeln und sie nach England zu bringen. Als die Nonne das erzählte, sah sie zum ersten Mal seit Niamhs Tod einen Funken in den grünen Augen des Mädchens aufglühen.
    »Aber wie soll ich hier herauskommen?« Sie schaute zu der verriegelten Tür.
    Schwester Agnes holte tief Luft. Dafür würde sie ihren ganzen Mut aufbieten müssen. Heute Abend würde sie wieder vorbeikommen, erklärte sie dem Mädchen, wenn alle anderen schliefen, und Cara die Tür aufschließen. Es würde so aussehen, als hätte die Nonne sie versehentlich unverriegelt gelassen, nachdem sie dem Mädchen Wasser gebracht hatte. Ganz hinten im Keller gab es einen Tunnel, der aus dem Waisenhaus herausführte. Durch den konnte Cara entkommen, und sobald sie die Mauern hinter sich gelassen hatte, würde Agnes’ Bruder Declan auf sie warten. Er würde sie nach Cork mitnehmen und sie dann auf das nächste Boot nach Liverpool bringen.
    Die Nonne sah, wie geschwächt Cara inzwischen war, und begriff, dass sie noch heute Nacht fliehen musste, wenn sie die Reise überstehen wollte. Natürlich hatte Schwester Agnes Angst vor dem, was passieren würde, wenn jemand sie als Fluchthelferin überführte, aber mit etwas Glück würde ihr niemand nachweisen können, dass sie die Tür nicht versehentlich unverriegelt gelassen hatte. Bestimmt würde Schwester Concepta Verdacht schöpfen und ihr das Leben zur Hölle machen, aber damit konnte die junge Nonne leben, wenn sie dafür wusste, dass sie das Rechte getan hatte.
    Mit einer Hand das Geländer umklammernd taumelte Cara die Treppe zum Keller hinunter. Alles war genau so, wie Schwester Agnes es ihr erzählt hatte. Zwar war sie nach dem tagelangen Hungern geschwächt, doch der Gedanke, endlich fliehen zu können, hatte ihr neue Kraft gegeben. Schwester Agnes hatte ihr etwas Brot zugesteckt, das sie vor ihrem Aufbruch gegessen hatte. Jetzt hatte sie genug Energie, um den Weg zu überstehen.
    Der

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