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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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Der Club diente gleichzeitig als Spielhölle und hatte infolgedessen vierundzwanzig Stunden geöffnet und keine Fenster. Cara fühlte sich schon schmutzig, als sie sich bei ihrem Bewerbungsgespräch auf die fleckige Samtcouch setzen musste.
    Der Besitzer, ein gealterter Lüstling im braunen Cordanzug, mit falschen Zähnen und quer über die Glatze gekämmten langen Strähnen, engagierte sie vom Fleck weg. »Eine Zuckerschnecke wie du kommt hier sicher gut zurecht«, säuselte er.
    Cara schob bedächtig die Hand weg, die sich auf ihr Knie verirrt hatte, und wünschte sich, sie könnte ihm eine Ohrfeige geben und auf der Stelle hinausmarschieren. Aber sonst wollte ihr niemand einen Job geben.
    »Wann kann ich anfangen?«, fragte sie müde.
    Das Flirt war nicht mit dem Eclipse zu vergleichen. Im Eclipse hatte man sich um eine gewisse Klasse bemüht, das Flirt war dagegen eine schäbige, schmuddelige Spelunke. Gino, der schmierige Besitzer, versuchte seine Bardamen bei jeder Gelegenheit zu betrügen. Er behielt die Hälfte ihres Lohnes ein und berechnete ihnen jedes Getränk, selbst wenn die Gäste dafür zahlten. Falls ein Kunde nicht zahlen konnte oder falls jemand gegen die unverschämten Preise und unerwartet auf der Rechnung auftauchende Posten protestierte – was nicht selten vorkam –, nahmen ihn die Rausschmeißer mit in den Hinterhof. Die Bardamen selbst waren größtenteils älter und verlebt; viele von ihnen hatten zuvor auf der Straße angeschafft und betrachteten diesen Job als Aufstieg. Allerdings gab es mit ihnen viel zu lachen, denn alle versuchten mit Humor das Beste aus ihrer Situation zu machen.
    Gleich am ersten Abend erfuhr Cara, dass zwei jüngere Mädchen eine Mitbewohnerin für ihre Kellerwohnung in Kilburn in Nordlondon suchten. Sie hatten nicht viel zu bieten – eigentlich nur ein Klappbett im Wohnzimmer –, dennoch konnte Cara dadurch aus der Pension ausziehen. Im Moment war sie zu traurig und zu niedergeschlagen, um optimistisch in die Zukunft blicken zu können. Aber immerhin war sie dabei, wieder auf die Beine zu kommen.

Kapitel 45
    1968
    Der Mann ließ seine große, klamme Hand auf Caras Knie fallen und drückte, wie er vermutlich meinte, neckisch zu.
    »Was denkst du, sollen wir beiden Hübschen nach hinten gehen?«
    Er nickte zu dem schweren roten Samtvorhang hin. Dahinter lagen die Separees des Flirt, in denen manche der Bardamen gegen einen kleinen Aufpreis mit ihren Kunden verschwanden. Die Hälfte ihres Zusatzverdienstes ging dabei ans Haus. Cara hatte sich von Anfang an geweigert, dabei mitzumachen. Dafür musste sie es erdulden, dass sich die Männer an ihr rieben. Ihr jetziger Gast, Frank Ellis, war ein typischer Vertreter dieser Gattung. Als reisender Vertreter war er nur eine Nacht in der Stadt und dabei im Flirt gelandet. Er war vor allem einsam, was Cara noch ertragen hätte, aber je betrunkener er wurde, desto weiter begannen seine Hände zu streunen.
    Er beugte sich vor, bis sein Atem Cara ins Gesicht wehte, eine Mischung aus Nikotin und alten Zwiebeln. »Komm schon, Süße. Bestimmt hätten wir beiden viel Spaß da hinten.«
    Cara hielt es nicht mehr aus. Abrupt stand sie auf. »Bitte entschuldige mich einen Moment«, sagte sie so höflich, wie sie nur konnte. »Ich muss kurz mal verschwinden.«
    Das sagte sie immer, wenn sie eine Pause brauchte. Natürlich riskierte sie dabei, dass eine ihrer Kolleginnen die Gunst des Augenblicks nutzte und ihr den Kunden ausspannte, womit sie Cara um ihren Lohn brachte. Aber diesmal war sie nicht sicher, ob sie das wirklich gestört hätte. Vielleicht wäre sie eher erleichtert.
    Doch ihre Hoffnungen, ihn bei einer ihrer Kolleginnen abladen zu können, zerschlugen sich, als er ihr vielsagend zuzwinkerte. »Keine Angst. Ich warte hier auf dich.«
    Cara lächelte ihn mit zusammengebissenen Zähnen an.
    Gino, der Besitzer, warf ihr einen bösen Blick zu, als sie aus der Bar verschwand. Einen Kunden allein sitzen zu lassen verstieß gegen seine Regeln. Aber das war Cara egal. Falls sie nicht fünf Minuten Ruhe vor Frank fand, würde sie noch handgreiflich.
    Statt auf die Toilette zu gehen, bog Cara rechts ab und durch eine Verbindungstür. Von dort aus kam man zur Garderobe, wie die Kammer, in der sich die Frauen umzogen, optimistisch genannt wurde. Cara arbeitete nun schon seit sechs Monaten im Flirt. Die ersten Wochen nach Dannys Verschwinden waren in einem dunklen Loch untergegangen. Tagsüber hatte sie geschlafen, nachts hatte sie

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