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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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loszuwerden.
    »Na ja, wir haben gerade erst ein paar Mädchen zu Boyfriend und Ms. geschickt. Und die Jobs in den Modezeitschriften wie Marie Claire oder Elle gehen immer sofort weg.«
    »Was ist mit den Zeitungen?«
    Tracey rümpfte die Nase. »Die meisten Mädchen wollen lieber zu einer Zeitschrift.«
    »Ich bin aber nicht wie die meisten Mädchen.«
    Wie sich herausstellte, gab es tatsächlich eine freie Stelle bei einer Tageszeitung – dem London Chronicle. Der Chronicle war eine eher linksgerichtete Boulevardzeitung und für seine Aufdeckungsartikel bekannt.
    Wie so viele landesweite Tageszeitungen hatte der Chronicle seinen Sitz in der Fleet Street. Cara wurde am Empfang von einer fleißig aussehenden, nicht mehr ganz jungen Frau namens Barbara abgeholt.
    »Sie werden meine Position übernehmen«, erklärte ihr Barbara, während sie Cara nach oben in die Redaktion begleitete. Nachdem sie zehn Jahre als Redaktionssekretärin gearbeitet hatte, sollte sie von nun an als Chefsekretärin des Herausgebers arbeiten. »Es ist eine Beförderung, aber trotzdem wird mir der Trubel fehlen.«
    Der Redaktionsraum war genauso, wie Cara ihn sich vorgestellt hatte: riesig und offen, laut und geschäftig. Hauptsächlich Männer arbeiteten hier. Die meisten telefonierten gerade oder debattierten hitzig mit ihren Kollegen; die Übrigen saßen gebückt über ihren Schreibmaschinen. Etwa die Hälfte von ihnen hielt eine Zigarette zwischen den Fingern. Niemand sah auch nur auf, als Barbara sie in ein freies Büro begleitete. Selbst durch die geschlossene Tür konnte Cara das geschäftige Summen hören, mit dem alle daran arbeiteten, die nächste Ausgabe fertigzustellen.
    Das Vorstellungsgespräch fiel knapp aus. Barbara schien vollauf zufrieden mit Caras Prüfungsergebnissen: sechzig Wörter pro Minute beim Tippen, hundertzwanzig in Kurzschrift.
    »Mit der Zeit wird sich das steigern«, meinte sie aus Erfahrung.
    Sie ging Caras Pflichten durch – »Eigentlich ist kein Tag wie der andere« – und warnte sie, dass sie oft bis in den Abend und zu den unmöglichsten Zeiten arbeiten müsste.
    »Falls Sie was suchen, wo Sie pünktlich kommen und gehen können, sollten Sie gleich wieder gehen«, riet sie ihr. »Für die da draußen« – sie wies auf die Journalisten in der Redaktion – »ist das nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung, und man erwartet, dass Sie das genauso empfinden.« Sie sah Cara scharf an. »Sie sind nicht gebunden, richtig?«
    Cara nickte.
    »Also, Sie sollten sich darauf gefasst machen, dass das so bleibt. Für Männer haben Sie hier keine Zeit.«
    Von denen hatte Cara sowieso genug.
    Als Barbara überzeugt war, dass Cara sich über die Nachteile der Stelle im Klaren war, gab sie dem Mädchen ihr stillschweigendes Einverständnis.
    »Aber bevor wir alles festmachen, müssen Sie noch mit dem Nachrichtenredakteur sprechen. Es ist unerlässlich, dass Sie gut miteinander auskommen, schließlich müssen Sie eng mit ihm zusammenarbeiten.«
    Cara beobachtete durch die Trennscheibe, wie Barbara den Redakteur Jake Wiley holen ging. Die Sekretärin steuerte auf einen großen, muskulösen Mann zu, der im Raum stand und sich in einer hitzigen Debatte mit einem anderen Journalisten befand. Als er Barbara sah, drehte er sich zu ihr um, sagte etwas wie »Ich komme gleich« und stürzte sich dann wieder in sein Streitgespräch. Er schaffte es, seine Notizen zusammenzusammeln und auf das Besprechungszimmer zuzuhalten, ohne sein Gebrüll zu unterbrechen. Noch während er die Tür aufdrückte, rief er dem Journalisten Befehle zu: »Überprüfen Sie Ihre Quellen. Überprüfen Sie die Fakten. Und vergessen Sie nicht – Sie lassen sich nicht von der verfluchten Türschwelle verscheuchen, bis Sie ein Zitat von ihm haben!«
    Dann trat er ins Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Sofort konzentrierte er sich ausschließlich auf Cara.
    »Schön, dass Sie kommen konnten«, sagte er und schenkte ihr ein fröhliches Lächeln, so als hätte er sich nicht noch vor zehn Sekunden bis aufs Messer gestritten.
    Aus der Nähe sah er jünger aus, als sie erwartet hatte – er war wohl Anfang dreißig, hatte kurzes braunes Haar und scharfe Augen. Eine Narbe zog sich im Zickzack über seine linke Wange, und Cara fragte sich flüchtig, wo er sie sich zugezogen hatte. Er sah auf raue, uneitle Art gut aus, hatte einen Zweitagebart und wirkte, als wäre er die ganze Nacht auf gewesen. Anfangs hatte er vielleicht einen Anzug getragen, aber

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