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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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Cara schob sich durch das Gedränge, ohne die Zigarettenasche und das Bier zu registrieren, die auf sie herabregneten. Sie hatte gelernt, sich nicht darum zu kümmern. Jede Zeitung in der Fleet Street hatte ihr eigenes Stammlokal, je nachdem, wo die Redaktion lag. Der Chronicle und der Mirror bevorzugten das White Hart. Das Pub war eine Legende, hier trafen sich die Großen der Branche, um Kriegsgeschichten, Beleidigungen und gelegentlich sogar Hiebe auszutauschen. Es war für Cara ein ebenso fester Teil ihres Arbeitsplatzes wie ihr Schreibtisch in der Redaktion.
    Sie war heruntergeschickt worden, um Desmond Haines, den Chefreporter für Kriminalfälle, zu holen. Sie hatten einen Tipp bezüglich eines Doppelmordes in Hackney bekommen, und er musste sofort los, um die Story zu recherchieren. Er gehörte zu den vielen lebenden Legenden in der Branche, war seit dreißig Jahren im Geschäft und berüchtigt dafür, Unmengen an Alkohol zu vertragen, ohne dass man es ihm anmerkte. Cara sah, dass er an einem der besten Tische in der Ecke Hof hielt. Um sich diesen Spitzenplatz zu sichern, musste er schon am frühen Nachmittag gekommen sein.
    »Tut mir leid, ist schon alles besetzt«, sagte er, als sie auf ihn zukam.
    »Das macht doch nichts, Herzchen«, meldete sich Ben Archer, der Sportredakteur, zu Wort. »Ich hab immer ein Plätzchen für dich frei.« Er klopfte auf seinen Schenkel, und der ganze Tisch lachte und johlte.
    Cara überhörte die sexistische Bemerkung – inzwischen war sie solche Kommentare gewöhnt. Die Fleet Street war eine Männerdomäne, und die Journalisten waren pubertär wie eine Bande von Teenagern. Inzwischen war ihr klar, warum Jake sie bei ihrem Bewerbungsgespräch auf die Probe gestellt hatte. Der Chronicle war kein Ort für ein Mauerblümchen. Unter den hundertzwanzig Redakteuren und Reportern gab es genau zwei Frauen. Cara war fest entschlossen, die Dritte im Bunde zu werden.
    Durch die Arbeit beim Chronicle hatte sich Caras Einstellung von Grund auf geändert. Erst jetzt, mit zweiundzwanzig, hatte sie das Gefühl, ihren Platz im Leben gefunden zu haben. Offiziell war sie als Redaktionssekretärin eingestellt worden; inoffiziell erledigte sie alles, was gerade anfiel. Natürlich zählten dazu die normalen Sekretariatsarbeiten: die wöchentliche Redaktionssitzung zu protokollieren, die Korrekturfahnen aus der Druckerei an die Redakteure weiterzuleiten und Anrufe entgegenzunehmen. Hinzu kamen jedoch unzählige inoffizielle Aufgaben – im Pub nebenan nach einem Reporter zu fahnden oder eigenständig einzuschätzen, ob es sich lohnte, einem Tipp aus der Öffentlichkeit nachzugehen. Barbara hatte recht gehabt: Feste Arbeitszeiten kannte sie nicht mehr.
    Es war eine Feuertaufe. Cara hatte das Gefühl, innerhalb von drei Monaten die Grundlagen des Journalismus erlernt zu haben. Und sie wusste inzwischen mit Sicherheit, dass sie eines Tages Reporterin werden wollte. Als sie die Journalismusstudenten in ihrem Kurzschriftkurs das erste Mal gesehen hatte, hatte sie angenommen, dass alle eine teure Privatschule durchlaufen und studiert hatten. Stattdessen arbeitete beim Chronicle ein buntes Gemisch. Manche aus der Mannschaft sprachen gewähltes Englisch und hatten einen Abschluss in Oxford oder Cambridge gemacht, es gab aber auch eine ganze Reihe von Reportern, die genauso einfach sprachen wie Cara und sich mit eigener Kraft nach oben gearbeitet hatten. Sie schilderten ihr, wie sie mit fünfzehn die Schule verlassen und bei einer kleinen Zeitung in der Poststelle oder als Laufbursche angeheuert hatten, um das Gewerbe von der Pike auf zu erlernen, bevor sie zu einer landesweiten Zeitung gewechselt hatten. Das gefiel ihr besonders am Chronicle : Dort kannte man keinen Bildungsdünkel. Wer gute Arbeit leistete, bekam eine Chance. Eine Handvoll junger Journalistinnen hinterließen dort erste Spuren. Viele hatten als Sekretärin angefangen und von dort aus ihren Weg gemacht. Und das hieß, dass es für Cara keinen Grund gab, es ihnen nicht gleichzutun.
    »Sie werden oben gebraucht«, erklärte Cara dem Reporter nun. Sie musste schreien, um sich im Lärm verständlich zu machen. »Die Schlussredaktion hat noch ein paar Fragen zu Ihrem Artikel.«
    Es war ein Code, um ihm mitzuteilen, dass sich möglicherweise eine Story aufgetan hatte. Sie konnte nicht riskieren, dass ein Rivale von der Konkurrenz Einzelheiten mithörte und den Chronicle ausbootete. Aber Desmond hatte schon begriffen.
    »Okay. Ich komme

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