Die vergessene Frau
bereit?«
Statt einer Antwort lüpfte er seinen Stetson, sodass sie die Kamera sehen konnte, die er darunter versteckt hatte.
»Dann los.«
Die dunklen, höhlenartigen Räume zu betreten war fast, als wären sie in Alices Wunderland gelandet: einem merkwürdigen, exotischen Ort voller kurioser Dinge. Die Luft war mit Räucherstäbchen- und Marihuanaduft geschwängert; die Musik so laut, dass sie kaum erkannte, was gespielt wurde – Happy Jack von The Who.
Auf dem Weg von der U-Bahn hierher war Cara ihre schreiende Kostümierung noch peinlich gewesen, aber jetzt erkannte sie, dass sie bei Weitem nicht die Exotischste war. Die Mädchen trugen alles Mögliche von winzigen Hotpants bis zu Bauernblusen; manche liefen barfuß, andere hatten keinen BH an; ein paar hatten sich Blumen und Herzchen auf die Wangen gemalt, während wieder andere auf Rollschuhen vorbeisausten. Die Männer hatten langes, wallendes Haar und Bärte, sie trugen Samtjeans mit Schlag und Brokatwesten, Kaftans und Hippieperlen. Psychedelische Kringel stießen sich mit Paisleymustern, aber das schien niemanden zu kümmern. Ein Mädchen schwebte, eindeutig unter Drogen, in seinem indisch bedruckten Rock vorbei und umarmte jeden auf seinem Weg. So etwas hatte Cara noch nie gesehen.
Sie brauchte nicht lang, um Toby Fairfax ausfindig zu machen – sie erkannte ihn von den Zeitungsfotos wieder. Er drehte seine Runde durch den Club, sprach die Gäste an und bot seine Waren feil, anscheinend ohne Angst, dass ihn jemand erkennen könnte. Cara fuhr sich kurz mit der Hand durchs Haar und wartete darauf, dass er auf sie zukam.
»Hey, Hübsche. Lust auf ein bisschen Spaß?«
Cara drehte sich zu der fremden Stimme um. Sie gehörte Toby. Er war groß und mager und hatte sein Bohème-Outfit perfektioniert: mit Lederweste, ausgestellten Hosen und Holzperlenkette um den Hals. Das sandblonde, mit einem Stirnband zurückgehaltene Haar reichte ihm bis auf die Schultern und sah weicher und samtiger aus als das jedes Mädchens im Raum. Als typischer Wochenendhippie benutzte er die alternative Kultur als Ausflucht, um sein faules Genießerleben zu rechtfertigen.
Getreu ihrer Rolle lächelte Cara ihn zuckersüß an. »Was hast du denn zu bieten?«
Er streckte die Hand aus und öffnete sie. In seiner Handfläche lag eine kleine weiße Tablette mit einem eingravierten rosa Herz. LSD .
»Wie viel?«
Er nannte seinen Preis. Cara reichte ihm das Geld und nahm die Tablette. Aus dem Augenwinkel sah sie Grant ein Foto nach dem anderen schießen. Rundherum war so viel los, dass niemand auf ihn achtete. Sie blickte auf die Pille in ihrer Hand und fragte sich, ob sie das Risiko eingehen sollte, sie in der Handfläche zu verstecken. Nachdem die beiden Mädchen im Krankenhaus gelandet waren, wollte sie lieber nicht testen, was Toby ihr da angedreht hatte.
Sie öffnete den Mund, tat so, als würde sie die Tablette von der Handfläche lecken, schluckte und hoffte, dass Toby keinen Verdacht geschöpft hatte.
Kapitel 48
Cara fuhr mit dem Fahrrad am Embankment entlang und wich mit einem schnellen Schlenker einem vereisten Fleck auf dem Asphalt aus. Sie hatte das Fahrrad gekauft, nachdem sie einen Monat beim Chronicle gearbeitet und begriffen hatte, dass sie sich bei ihren völlig unberechenbaren Arbeitszeiten nicht auf den öffentlichen Nahverkehr verlassen konnte – wenigstens bis sie zur Journalistin aufgestiegen war und ein eigenes Spesenkonto hatte. Der einzige Nachteil beim Radfahren war das Wetter. Über Nacht hatte es gefroren, und nach zehn Minuten im klaren, bitterkalten Dezembermorgen waren ihre Finger rot und taub, und ihre Nase hatte zu tropfen angefangen. Aber nicht einmal das konnte ihre gute Laune trüben. Denn heute würde sie endlich beweisen, dass sie das Zeug zur Reporterin hatte.
Toby hatte nicht gemerkt, dass die Pille in ihrer Handfläche verschwunden war, und Cara war anschließend unbemerkt aus dem Club gekommen. Während des Wochenendes hatte sie grob niedergeschrieben, was sie am Freitagabend im Middle Earth erlebt hatte. Jetzt wollte sie in den Chronicle fahren, um ihren Artikel abzutippen und ihn dann Jake vorzulegen. Nervös und aufgeregt zugleich wartete sie auf sein Urteil. Sie selbst fand ihren Artikel gut, doch sicher war sie sich nicht.
Sie fuhr einen Schlenker um einen Doppeldecker und bog in die Aldwych Street ein, bevor sie gemächlich in die Fleet Street rollte. Zum Glück war so früh am Morgen noch ein Geländer frei, an dem sie ihr
Weitere Kostenlose Bücher