Die vergessene Frau
gegen seine Brust.
»Hör auf!«, keuchte sie. »Warte …«
Jake sah sie verblüfft an. Cara bemerkte seine Verwirrung und wünschte sich, sie könnte etwas anderes zu ihm sagen.
»Was ist denn?«
Er lag immer noch halb auf ihr und hatte keine Ahnung, was in ihrem Kopf ablief. Cara zögerte kurz, weil ihr bewusst war, dass ihm nicht gefallen würde, was sie jetzt sagen musste. Dennoch schob sie ihn weg und setzte sich auf.
»Es tut mir so leid«, sagte sie leise und mit abgewandtem Gesicht. Sie zog ihre Bluse wieder zu und begann sie zuzuknöpfen. »Das war ein Fehler. Ich bin einfach durcheinander und betrunken.« Sie wusste, dass sie dummes Zeug redete, doch sie konnte nicht anders. »Ich weiß nicht, was heute Abend mit mir los ist. Die Beerdigung hat mir offenbar mehr zugesetzt, als ich dachte.«
Jake legte die Hand auf ihren Arm, als wollte er ihren Redefluss unterbrechen.
»Cara …«
»Nicht.« Sie sagte das so entschlossen, dass er innehielt. »Ich habe es dir doch erklärt. Das darf nicht passieren.«
»Aber warum nicht?«
Cara spürte, wie Jakes Frustration von ihm ausstrahlte. Da sie wusste, dass sie ihm demonstrieren musste, wie entschlossen sie war, nahm sie ihren Mut zusammen und schaute ihm ins Gesicht.
»Weil ich es nicht will«, sagte sie leise.
Es wurde still. Jake sah sie lange schweigend an. Cara hatte den Eindruck, dass er etwas sagen wollte und sich dann dagegen entschied.
»Na gut«, erklärte er schließlich.
Er schlüpfte hastig in Schuhe und Mantel, so als könnte er es plötzlich kaum erwarten, aus dem Haus zu kommen. Erst als er an der Tür war, drehte er sich noch einmal um und bedachte Cara mit einem ernsten Blick.
»Ich werde nicht ewig warten, weißt du?«, sagte er, dann zog er die Tür hinter sich zu.
Nachdem er gegangen war, schenkte sich Cara noch ein Glas Whisky ein und wanderte ziellos durch ihre stille Wohnung. Irgendwie landete sie schließlich im Schlafzimmer, wo immer noch der Brief lag, den Max ihr geschrieben hatte. Ein bitterer Geschmack stieg in ihr auf. Das war alles Frannys Schuld. Wenn sie Cara damals nicht im Stich gelassen hätte, wäre ihr Leben mit Sicherheit ganz anders verlaufen. Dann wäre Cara jetzt vielleicht fähig, anderen Menschen zu vertrauen oder sie gar zu lieben.
In diesem Moment wurde ihr vieles klar. Sie musste herausfinden, wie ihre Mutter wirklich gestorben war. Wie sollte sie je in die Zukunft blicken können, solange sie die Vergangenheit nicht zur Ruhe gebracht hatte? So wie der Brief klang, hatte Max nicht mehr viel Zeit – und wenn er erst gestorben war, hätte sie keine Möglichkeit mehr, je die Wahrheit zu erfahren.
Mit verblüffend klarem Kopf, so als hätte sie der dramatische Verlauf des Abends schlagartig ernüchtert, setzte sich Cara an ihren Schreibtisch und begann einen Brief an Maximilian Stanhope zu verfassen.
Kapitel 52
Sobald sich Cara entschieden hatte, Max’ Einladung anzunehmen, konnte sie es kaum noch erwarten, die Wahrheit über ihre Mutter zu ergründen. Jahrelang hatte sie versucht, die Frau, die sie ihrem Schicksal überlassen hatte, zu vergessen. Doch nun ließ sie Cara nicht mehr los.
Nachdem sie Max geschrieben und ihm erklärt hatte, dass sie im folgenden Monat nach Kalifornien fliegen würde, verbrachte sie die nächsten Wochen damit, ihre Reise nach L. A. zu planen. Noch einmal ging sie sämtliche gesammelten Artikel durch und erarbeitete sich mühsam Frannys Lebenslauf von jenem Tag an, an dem sie 1954 in Hollywood angekommen war. Dann begann sie jeden anzurufen, der mit ihrer Mutter zu tun gehabt hatte, und vereinbarte so viele Termine wie möglich. Ihr Beruf lieferte ihr die ideale Tarnung für ihre Nachforschungen. Sie hielt sich absichtlich bedeckt über ihre Absichten und erzählte nur, dass sie eine Artikelserie über das Goldene Zeitalter Hollywoods schreiben wolle, die möglicherweise irgendwann zu einem Buch zusammengefasst werden könnte. Die meisten, die sie anrief, waren sofort bereit, mit ihr zu sprechen: Seit Jahren hatte sich die Presse nicht mehr für sie interessiert, und so freuten sie sich über jede Gelegenheit, ihren Namen noch einmal gedruckt zu sehen.
Nachdem Cara ihre Reise geplant hatte, ging sie zu Neil und bat um einen dreimonatigen unbezahlten Urlaub. Der Herausgeber des Chronicle war nicht besonders begeistert, vor allem, nachdem Cara ihm nicht verraten wollte, wohin sie fahren und was sie dort tun wollte, aber als er sah, dass sie nicht von ihrem Vorhaben
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