Die vergessene Frau
Familie verbrachten – stets meldete sie sich freiwillig zum Dienst.
»Eine Beerdigung«, erläuterte sie knapp. »Eine alte Freundin ist gestorben.«
Er wusste, dass er keine Einzelheiten erwarten durfte. »Ach so. Na schön, lass es mich wissen, falls du hinterher jemanden brauchst, der mit dir einen trinken geht.«
Cara lächelte ihn an. »Danke. Gut möglich, dass ich auf dein Angebot zurückkomme.«
Kapitel 51
Die Beerdigung, zu der sie ging, war die von Annie. Cara war zwar nicht direkt mit Dannys Mutter in Kontakt geblieben, dafür hatte sie, nachdem sie beim Chronicle zu arbeiten begonnen hatte, einige ihrer Verbindungen ins East End wiederbelebt und auf diese Weise verfolgen können, wie es Annie erging. Dadurch hatte sie auch erfahren, dass Annie an Unterleibskrebs litt. Die Krankheit war nicht aufzuhalten, und mit Annie ging es schnell bergab. Als Cara sie schließlich im Krankenhaus besuchte, litt sie schon unter starken Schmerzen und war dem Tode nahe. Es war bei einem kurzen Besuch geblieben, denn Annie war zu schwach, um sich lange zu unterhalten – aber er hatte ausgereicht, um mit ihr Frieden zu schließen. Cara war überrascht, dass Annie danach noch einen ganzen Monat durchgehalten hatte, so hinfällig hatte sie ausgesehen.
Die Trauerfeier fand in der katholischen Kirche an der Underwood Road statt, auf halbem Weg zwischen Whitechapel und Bethnal Green, wo Annie Sonntag für Sonntag die Messe gehört hatte. Während des Gottesdienstes und am Grab hielt sich Cara abseits, weil sie nicht wusste, wie Annies Familie dazu stand, dass sie gekommen war. Doch nach der Beerdigung kam Bronagh auf sie zu.
»Wie schön, dass du gekommen bist … nach allem, was passiert ist.«
Cara zuckte mit den Achseln und meinte ehrlich: »Deine Mutter war immer sehr gut zu mir.«
»Vielleicht«, pflichtete Annies Tochter ihr bei. »Aber Danny nicht.« Sie wollte Cara sichtlich in ein Gespräch verwickeln, das ließ die jüngere Frau allerdings nicht zu.
»Das ist längst vergessen«, meinte Cara gleichmütig. Sie sah sich unter den Gästen um. »Er ist also nicht gekommen?«
Bronagh schnaubte. »Was glaubst du denn? Du kennst doch Danny, der denkt immer nur an sich. Der weiß genau, dass die Bullen nur auf ihn warten, falls er sich hier blicken lässt, und diesmal würde er für achtzehn Jahre einfahren.« So wie sie das sagte, war klar, dass sie seine Entscheidung missbilligte. »Natürlich hat Mum bis zum letzten Atemzug auf ihn gewartet. Sie hatte ihn immer lieber als uns Mädchen.«
Cara beließ es bei einem unbestimmten »Hm«.
Nach einigen weiteren erfolglosen Versuchen, Cara zu einem abfälligen Kommentar über Danny zu bewegen, gab Bronagh auf und lud sie ein, mit ihnen zur Totenfeier ins Pub zu kommen. Cara lehnte ab, sie wollte die Gastfreundschaft der Connollys nicht überstrapazieren.
Eine Stunde später bereute sie ihre Entscheidung. Als sie die Tür zu ihrer Wohnung aufschloss, empfing sie leere Stille. Kalt war es auch. Die Wohnung in Earl’s Court war hell und geräumig, aber Cara hatte sie weder wegen der Südfenster noch wegen der anderen Vorzüge gemietet, sondern ausschließlich, weil sie so nah an der Redaktion lag. Sie hatte sich keine große Mühe gegeben, sie wohnlich einzurichten, denn sie hatte nie so viel Zeit hier verbracht, als dass es sich gelohnt hätte, ein gemütliches Heim zu schaffen. Im Gästezimmer stapelten sich Bücher und alte Zeitschriften oder Zeitungen. Es war nicht so, als hätte je ein Gast bei ihr übernachtet.
Um etwas Abstand zum Tag zu schaffen, zog sie die dunklen Sachen aus und stattdessen eine Hippiejeans und eine regenbogenbunte Leinenbluse an. Bei einem Rundgang durch die Wohnung schaltete sie alle Lichter an und drehte die Heizung auf, um die Wohnung marginal freundlicher zu machen. Statt erleichtert zu sein, dass sie die Trauerfeier überstanden hatte, fühlte sie sich einsam, seltsam leer und sich ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst. Wer würde wohl zu meiner Beerdigung kommen?, überlegte sie. Die Arbeitskollegen natürlich. Aber abgesehen davon hatte sie keine Freunde. Ihr Leben drehte sich ausschließlich um den Chronicle . Sie wollte es nicht anders haben – das war weniger riskant, als auf Menschen zu bauen, die sie irgendwann doch im Stich lassen würden. Sie schüttelte den Kopf. Das waren keine Gedanken für eine Fünfundzwanzigjährige. Nur dass sie bereits absehen konnte, wie sich ihr Leben entwickeln würde, und dass ihr das inzwischen
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