Die vergessene Frau
abzubringen war, gab er ihrer Bitte schließlich nach.
Sie spielte mit dem Gedanken, Jake über den wahren Grund ihrer Reise aufzuklären. Bis vor wenigen Wochen war er der einzige Mensch gewesen, dem sie sich anvertrauen konnte. Doch seit jenem Kuss wussten beide nicht recht, wie sie miteinander umgehen sollten. Immerhin kam er zu ihrer kleinen Abschiedsfeier und schloss sie in die Arme.
»Melde dich zwischendurch, Healey«, sagte er, als der Abend zu Ende ging. »Ich bin nur einen Anruf entfernt, falls du irgendwas brauchst.«
Traurig, wie sich alles zwischen ihnen entwickelt hatte, sah sie ihn weggehen. Sie hoffte nur, dass sie genauer wissen würde, was sie wollte, wenn sie diese Reise erst hinter sich gebracht hatte.
Benommen und mit müden Augen verließen die meisten Fluggäste nach dem dreizehnstündigen Flug nach Los Angeles das Flugzeug. Cara hingegen war lange Arbeitszeiten und schlaflose Nächte gewohnt und daher sofort hellwach und voller Tatendrang. Um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie Franny damals gelebt hatte, hatte sie beschlossen, ein paar Tage in L.A. zu verbringen, bevor sie die Küste hinauf nach Stanhope Castle fuhr. Darum mietete sie sich in der Sunset Lodge ein, jenem heruntergekommenen Motel, in dem ihre Mutter damals anfangs gewohnt hatte und dessen Namen Franny auf so viele Umschläge geschrieben hatte, dass er sich ihr für alle Zeiten eingeprägt hatte. Als Cara zum Abendessen in den Diner nebenan einkehrte, fragte sie sich unwillkürlich, ob die verlebte Kellnerin, die ihre Bestellung aufnahm, vielleicht dieselbe war, die vor vielen Jahren ihrer Mutter das Essen serviert hatte.
Am nächsten Morgen nahm Cara ihre Erkundungen auf. Hollywood hatte sich völlig verändert, seit ihre Mutter hier gelebt hatte. Das Goldene Zeitalter war längst vergangen, und die Lokale, in denen Franny verkehrt hatte, hatten ihre besten Tage hinter sich, wenn es sie überhaupt noch gab: Das Ciro’s hatte 1959 geschlossen, das Mocambo auch. Der Sunset Strip wirkte inzwischen eher schmierig als mondän. Am Nachmittag machte Cara gemeinsam mit anderen staunenden, gaffenden Touristen eine Führung durch die Juniper Studios. Während sie durch den hinteren Bereich des Studios fuhren, erwähnte der Führer sogar ihre Mutter: Sie hatte vielleicht keine so glanzvolle Karriere absolviert wie Elizabeth Taylor oder Lana Turner, aber ihr tragischer Tod hatte ihr einen festen Platz in der Historie Hollywoods gesichert.
»Damit wurden wir eines weiteren jungen Talents beraubt«, schloss der Führer mit geheuchelter Anteilnahme, nachdem er Frances Fitzgeralds Tod in allen blutigen Einzelheiten geschildert hatte.
Eine weitere schlaflose Nacht in einem harten Bett, dann kamen die Gespräche. Erst mit dem Produzenten Clifford Walker, der Frances damals in London entdeckt hatte, nun schon seit Jahren im Ruhestand war und inzwischen mindestens zwei Wodkas brauchte, um morgens aus dem Bett zu kommen; mit Lloyd Cramer, dem ehemaligen Studiochef bei Juniper, der seine Tage inzwischen auf dem Golfplatz verbrachte; dem Schauspieler Hunter Holden, der auf wundersame Weise in der Branche überlebt hatte und zurzeit eine weitere filmische Wiederauferstehung erlebte. Alle erzählten mehr oder weniger dasselbe: wie schön und strahlend Frances damals gewesen war; dass sie jede Party in Schwung gebracht hatte. Aber abgesehen von den üblichen Plattitüden über Frannys legendäre Lebenslust gab es keine neuen Erkenntnisse. Cara hatte versucht, Duke Carter, einen weiteren von Frannys früheren Verehrern, aufzuspüren, doch anders als Hunter war er längst in Vergessenheit geraten. Genau wie Clifford hatte er zu trinken angefangen und war schon vor Jahren einsam an Leberzirrhose gestorben.
Das interessanteste Gespräch führte sie mit Frannys alter Freundin Lily Powell. Sie war inzwischen Anfang vierzig und schon seit zehn Jahren nicht mehr im Filmgeschäft, aber trotzdem führte sie ein angenehmes Leben. Von jeher umsichtig in Gelddingen hatte sie vor Jahren eine Kette von Schönheitssalons entlang der Westküste eröffnet, und das Geschäft blühte. Sie wohnte immer noch in ihrer Villa in den Hollywood Hills, zusammen mit einem muskelbepackten Riesen namens Rod, der aussah, als wäre er zu jung, um Alkohol zu trinken.
Lily empfing Cara in einem knallrosa Tagespyjama mit dazu passendem Tuch, das sie wie einen Turban um ihren Kopf gewickelt hatte. Sie bestand darauf, ihnen eine Margarita zu mixen, und brachte den Krug mitsamt
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