Die vergessene Frau
mit einer Glasscheibe abgetrennt. Er zwang sich, nicht wegzusehen. Erst wurde Olivia von zwei Krankenschwestern in den Raum geführt. In ihrem weißen Nachthemd wirkte sie ruhig, beinahe schicksalsergeben. Sie war barfuß. Im Raum stand nichts außer diversen elektrischen Gerätschaften, die aussahen wie mittelalterliche Folterwerkzeuge. Als Olivia die Trage sah und begriff, was jetzt passieren würde, begann sie sich zu wehren. Während die Pfleger sie festschnallten und die Gurte um ihre Hand- und Fußgelenke und über ihrer Brust straff zogen, begann sie Max um Hilfe anzuflehen.
»Bitte, Daddy. Lass sie das nicht tun.« Vergeblich versuchte sie sich zappelnd zu befreien. »Daddy, sag ihnen, sie sollen aufhören. Bitte!«
»Versuchen Sie nicht hinzuhören«, meinte der Arzt mit professioneller Distanz.
Und Max hätte am liebsten erwidert: »Wie kann ich nicht hinhören, wenn mein eigenes Kind mich um Hilfe anfleht?« Als der Lederknebel zwischen ihre Zähne geschoben wurde, damit sie die Zunge nicht verschluckte, konnte sie nichts mehr sagen. Doch Max sah immer noch, wie ihre Augen ihn beschworen, etwas zu unternehmen, wie sie ihn verurteilten, weil er auch nur erwogen hatte, sie dieser Tortur zu unterziehen. Er wollte schon rufen, dass sie aufhören sollten, aber dann musste er daran denken, wie lethargisch Olivia seit Wochen war, und schließlich hatte ihm der Arzt versichert, dass dies die einzige Art sei, ihr zu helfen.
Die Pfleger traten zurück. Der Arzt zog den Hebel nach unten. Max hörte, wie die Elektrizität die Luft zum Surren brachte. Als der Schlag Olivia traf, begann sich ihr Körper aufzubäumen und zu verkrampfen, bis sich ihr Rücken vom Tisch hob. Ihre Augäpfel traten aus den Höhlen; der Raum roch nach versengtem Haar. Dann, nach dreißig Sekunden, wurde der Apparat gnädig abgeschaltet. Olivias Körper sackte leblos auf die Trage zurück.
Der Arzt erklärte: »Wir gönnen ihr eine kurze Pause, dann kommt der zweite Durchgang.«
Olivia musste ihn gehört haben, denn sie stöhnte unter ihrem Knebel auf. Sie klang schwach. Als der Strom wieder floss, bäumte sich ihr Körper erneut auf, aber diesmal deutlich weniger kräftig. Danach kam sie zur Ruhe und stieß nur noch ein leises Wimmern aus.
Max drehte sich zu Franny um und fragte mit tränenüberströmtem Gesicht: »Was habe ich nur getan? Was in aller Welt habe ich meinem Kind nur angetan?«
Kapitel 59
Caras Knie zitterten, und ihre Schläfen pochten. Mit aller Kraft versuchte sie sich zu konzentrieren. Jetzt verstand sie immerhin, warum Max das Kind nicht im Haus behalten hatte, warum die beiden diesen komplexen Plan geschmiedet hatten, um die Geburt zu verschleiern. Doch all das war keine Erklärung für Frannys Tod.
»Aber wenn Franny sich nicht wegen des Kindes umgebracht hat, was ist dann damals passiert?« Sie wartete einen Atemzug lang, bevor sie fragte: »Hatten Sie etwas mit ihrem Tod zu tun?«
Caras Herz klopfte wie wild: Insgeheim fürchtete sie sich vor der Antwort, denn sie wusste nicht, wie weit er gehen würde, um zu verhindern, dass die Welt davon erfuhr. Trotzdem musste sie es wissen.
»Und wie kommen Sie darauf?«
»Weil es im Moment so aussieht, als hätten Sie etwas damit zu tun gehabt. Bis Franny Ihnen begegnete, war sie eine berühmte und gefragte Schauspielerin. Dann, keine zwei Jahre nachdem Sie geheiratet haben, starb sie. Also, ich weiß natürlich nicht genau, was damals passiert ist. Aber soweit ich weiß, waren Sie nicht unschuldig an dem, was damals schieflief.«
»Inwiefern?«
Max hatte die Stimme gesenkt, doch Cara spürte den Zorn hinter der ruhigen Fassade. Sie beschloss, ihn zu ignorieren. Stattdessen begann sie alles aufzuzählen, was sie bis dahin gehört hatte.
»Sie wollten sie kontrollieren«, erklärte sie ihm. »Sie haben sie hier oben versteckt und ihr die Karriere verbaut.« Langsam erwärmte sich Cara für ihr Thema. »In den zwei Jahren, in denen sie mit Ihnen zusammengelebt hat, verwandelte sie sich von einer selbstbewussten, extrovertierten Frau in eine Trinkerin, die aussah, als hätte sie ein paar Runden im Boxring durchstehen müssen.«
Max schaute sie eisig an. »Sie haben also wie alle anderen beschlossen, den Gerüchten zu glauben, statt die Wahrheit herauszufinden.«
»Im Gegenteil, sonst wäre ich nicht hier.«
»Schön!«, fuhr Max sie an. »Sie wollen also die Wahrheit erfahren?« Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. »Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, dass
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