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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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Ihre Mutter keine Trinkerin war. Und dass ich sie auch nie geschlagen habe. Und ganz gewiss habe ich nie, zu keinem Zeitpunkt, ihre Karriere sabotiert.«
    Cara starrte ihn an und versuchte zu entscheiden, ob sie ihm glauben sollte. Er sah aus, als würde er es ehrlich meinen, aber sicher konnte sie nicht sein. »Was war dann mit ihr los?«
    »Sie war krank«, antwortete er, ohne zu zögern. »Ihre Mutter war sehr, sehr krank. Und sie wollte nicht, dass jemand davon erfuhr.«
    Cara spürte, wie sie in Max’ Arbeitszimmer zu frösteln begann. Endlich kamen sie zum Ende der Geschichte. Sie hatte jahrelang geglaubt, dass er ihrer Mutter Unrecht und Schmerzen zugefügt hatte, und die Erkenntnis, ihre Mutter könnte an etwas anderem zerbrochen sein, traf sie wie ein Schock.
    »Sie behaupten also, sie hätte herausgefunden, dass sie krank war und dann – was? Sich umgebracht? Habe ich Sie richtig verstanden?«
    Max zögerte. »Nicht direkt.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Das ist schwer zu erklären«, sagte Max.
    »Sie können es wenigstens versuchen.«
    Er sah sie lange an. »Das würde ich ja, aber ich darf dieses Geheimnis nicht verraten.«
    »Herr im Himmel!«, brach es aus ihr heraus.
    Er hob abwehrend die Hände. »Aber vielleicht kann ich die fragliche Person überreden, mit Ihnen zu sprechen.«
    »Und wo ist diese mysteriöse Person?« Cara war die Skepsis deutlich anzuhören.
    »In einem der Gästehäuser.«
    Das Gästehaus – in dem Hilda lebte.
    »Und? Worauf warten wir noch?«
    Cara folgte Max nach draußen und zu jenem Gästehaus, in dem er am Vorabend verschwunden war. Ihr war klar, dass sie sich möglicherweise in Gefahr begab: Schließlich war sie mit dem Mann allein, den sie verdächtigte, ihre Mutter umgebracht zu haben. Doch sie musste endlich die Wahrheit erfahren.
    Der Bau war eines von insgesamt vier Gästehäusern auf dem Anwesen. Es war das kleinste, ein rechteckiger, schmuckloser Bungalow. Im Gegensatz zum übrigen Anwesen war der Garten hier sorgsam gepflegt, und auf der Wäscheleine flatterten weiße Bettbezüge in der Nachmittagsbrise. Eine Rampe führte zur Haustür. Max hielt davor an.
    »Bitte warten Sie hier draußen.«
    »Auf keinen Fall.« Sie war nicht so weit gegangen, um sich jetzt schon wieder hinhalten zu lassen.
    »Bitte« – er schaute sie müde an – »vertrauen Sie mir.«
    Etwas an seinem Tonfall ließ sie nachgeben. »Gut. Ich gebe Ihnen fünf Minuten.«
    Sie sah ihn im Haus verschwinden und begann zu warten.
    Immer wieder ging Cara die kiesbestreute Auffahrt auf und ab. Fünf Minuten verstrichen. Dann zehn. Als er fünfzehn Minuten im Haus verschwunden war, gab sie schließlich auf. Sie würde ihm folgen, ganz gleich, ob er bereit war oder nicht.
    Hilda öffnete ihr die Tür. Demnach hatte Max nicht mit ihr sprechen wollen.
    »Mr Stanhope hat Sie gebeten, draußen zu warten.«
    »Ich will aber nicht mehr warten.« Cara ließ sich nicht von ihrem barschen Ton abweisen und drängte an der Frau vorbei.
    Das Haus war ebenerdig und darum schnell abzugehen. Cara stieß die Tür zu jedem Zimmer auf und hielt nach Max Ausschau: erst im Wohnzimmer, dann in der hellen, luftigen Küche, in einem kleinen, aufgeräumten Schlafzimmer, in dem eindeutig Hilda schlief, und in dem großen Bad. Die Haushälterin folgte ihr auf Schritt und Tritt.
    »Miss, so warten Sie doch!«
    Schließlich hatte Cara eine verschlossene Tür auf der Rückseite des Hauses erreicht.
    »Bitte warten Sie!«
    Hilda packte sie am Arm, aber Cara schüttelte ihre Hand ab. Ohne anzuklopfen, stieß sie die Tür auf. Sie wusste nicht genau, was sie erwartet hatte, doch der Anblick ließ sie erstarren. Vor ihr lag ein schöner, geräumiger Raum, eindeutig das größte Schlafzimmer im Haus, mit Terrassentüren zum Garten. Das Zimmer war hell und fröhlich und weiblich eingerichtet: Die weiße Tapete war mit großen gelben und blauen Blumen bedruckt. Eine weitere Tür führte wahrscheinlich in ein kleines Bad. Aber Cara sah nur auf das Bett: ein riesiges Doppelbett mit blumenbedruckter, zu der Tapete passender Bettwäsche. Am Kopfende lehnte eine Frau, eindeutig eine sehr kranke Frau, deren Körper sich in Krämpfen wand und zuckte; Max hatte den Rollstuhl ans Bett gefahren und fütterte sie gerade.
    Während Cara fassungslos beobachtete, wie er die Patientin liebevoll Löffel für Löffel fütterte, begriff sie, dass dieser Mann niemanden umgebracht hatte.
    Denn die Frau im Bett war ihre Mutter.

Kapitel 60
    Stanhope

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