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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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geschimpft hatte. In diesem Augenblick wünschte sich Franny, sie hätte ihrer Mam erklären können, dass sie sie verstand.
    »Cara kann nichts dafür, Tante Fran«, mischte sich Danny ein.
    Franny warf ihm einen bitterbösen Blick zu. »Das ist mir klar, Bürschchen. Ich weiß zwar nicht, was heute passiert ist, aber ich bin überzeugt, dass du dahintersteckst.« Mit ihrer Anschuldigung wollte sie ihm ein Schuldbekenntnis entlocken, statt zerknirscht den Kopf zu senken, starrte Danny Connolly sie allerdings trotzig an. Zehn Jahre war er erst, doch von seiner Haltung her hätte er doppelt so alt sein können. Auf einmal wollte sie nicht, dass er auch nur in die Nähe ihrer Tochter kam. »Und jetzt raus mit dir.«
    Danny befolgte ihren Befehl nicht sofort. Erst kam er zu ihnen, küsste Cara auf die Stirn und sagte: »Du warst heute wirklich tapfer.« Anschließend schlenderte er, nach einem letzten frechen Blick auf Franny, aus dem Raum.
    Cara beschwerte sich halblaut, als ihr Freund aus der Küche geschickt wurde, aber die strenge Miene ihrer Mutter hielt sie davon ab, allzu viel zu sagen.
    »Er hat dich in dieses Haus geschickt, nicht wahr?«, wollte Franny wissen. Als ihre Tochter nicht antwortete, seufzte sie schwer. »Du hast einen Narren an diesem Burschen gefressen, habe ich recht? Und wenn Danny sagt, du sollst von einer Brücke springen, würdest du das auch tun, oder?«
    Ihre Tochter presste die Lippen zusammen. »Danny hat mich überhaupt nicht geschickt.«
    Franny schüttelte verzweifelt den Kopf. Für Cara war Danny der Held des Tages. Sie hatte praktischerweise vergessen, dass ihr gar nichts passiert wäre, wenn er sie nicht in die Ruine geschickt hätte. Danny entwickelte sich langsam zu einem richtigen kleinen Strolch. Als einziger Mann im Haus wurde er von seiner Mutter und seinen Schwestern verhätschelt und konnte, wie sie meinten, kein Wässerchen trüben, was dazu führte, dass er mit all seinen Streichen ungeschoren davonkam. Gott allein wusste, zu was für einem Mann er heranwachsen würde.
    Doch Cara war nichts passiert, und im Moment zählte allein das für Franny. Sie befestigte den Verband mit einer Sicherheitsnadel und lächelte ihre Tochter an, um ihr zu zeigen, dass sie ihr vergeben hatte.
    »Und jetzt komm. Ab ins Bett mit dir.«
    Obwohl Franny selbst ein Leichtgewicht war, konnte sie ihre Tochter mühelos hochheben. Das Mädchen war zwar groß für sein Alter, aber dünn wie eine Weidenrute: Es hatte kein Gramm Fett am Leib. Schon mit drei Jahren hatte Cara ihren Kleinkinderbauch verloren, und nun, mit sieben, war sie rank und schlank. Selbst Franny musste zugeben, dass sie mit ihrem schwarzen Schopf und den großen grünen Augen, die viel zu groß für das hagere Gesicht wirkten, kein besonders hübsches Kind war. »Sie sieht Ihnen gar nicht ähnlich«, hörte sie oft von anderen Frauen auf der Straße. Franny wusste genau, wie das gemeint war: Bestimmt sind Sie enttäuscht, dass sie nicht hübscher ist. Doch das war sie nicht. Es war ein merkwürdiges, instinktives Gefühl – sie liebte Cara so, wie sie war.
    Als Franny jetzt auf ihre Tochter hinabsah, die fest eingemummelt im Bett lag, ging ihr wieder einmal das Herz auf. Sie schob die schwarzen Strähnen aus Caras Gesicht und fragte: »Möchtest du noch ein bisschen lesen?«
    Es war ihr abendliches Ritual. Franny hatte ihre Tochter von frühester Kindheit an zum Lesen angehalten. Damals in Irland hatte ihre Mutter Theresa immer großen Wert darauf gelegt, dass ihre Töchter alles an Bildung ausnutzten, was sich ihnen nur bot, und Franny wollte das Gleiche für ihr Kind. Darum ging sie jeden Samstagvormittag mit Cara in die Bücherei von Whitechapel, ein wunderschönes Backsteingebäude über dem Eingang zur U-Bahn-Station Aldgate, und dort durfte sich das Mädchen in der Kinderabteilung nach Herzenslust Bücher aussuchen. Jeden Abend vor dem Schlafen las Cara ihrer Mutter ein Kapitel vor, und Franny half ihr, wenn sie ein Wort nicht verstand.
    Wie so viele Kinder liebte Cara Enid Blyton und hatte vor Kurzem deren Serie über den Wunderweltenbaum für sich entdeckt. Sie öffnete den Band »Der Zauberwald« und begann zu lesen.
    Nachdem ihre Tochter eine halbe Stunde später eingeschlafen war, ging Franny nach unten, um die Badewanne zu leeren, bevor sie zur Arbeit ging. Als sie in die Küche trat, saß zu ihrem Verdruss schon wieder Liam Earley am Tisch. Seit ein paar Wochen hatte sich Annie mit dem Bauarbeiter eingelassen, der in

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