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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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einem der Mietshäuser weiter unten an der Straße wohnte. Jetzt saß er allein in der Küche und verspeiste gerade ein Sandwich mit Dosenfleisch – das letzte Fleisch, das von den Rationen für diese Woche noch übrig war.
    »Und, Franny, alles klar?« Er rülpste laut und machte keine Anstalten, sich zu entschuldigen. »Du siehst heute richtig rassig aus.«
    Er war ein großer, dicker Kahlkopf mit mächtiger, wackelnder Wampe. Sein rundes Gesicht war platt gedrückt und asymmetrisch, eine Folge seiner früheren Leidenschaft fürs Boxen, und er erinnerte Franny immer ein bisschen an einen Pitbull. Sein auffallendstes Merkmal war allerdings die rote Nase, das Kennzeichen eines schweren Trinkers. Genau wie Annies verstorbener Mann arbeitete Liam auf den Docks, aber für Franny war er vor allem ein Säufer und Strauchdieb. Seit Neuestem verbrachte er immer mehr Zeit bei Annie. Falls Liam sich hier einnistete, würde sie sich nach einer anderen Wohnung umsehen müssen.
    »Wie hältst du es nur mit so einem aus?«, hatte sie Annie einmal gefragt, als sie in die Küche gekommen war und Liam auf dem Sofa liegend seinen letzten Vollrausch ausgeschlafen hatte, umgeben von einem ganzen See an Erbrochenem.
    Die ältere Frau, die schon dabei gewesen war, den Dreck zu beseitigen, hatte ihr überraschend ehrlich geantwortet. »Mir hat eben ein Kerl im Bett gefehlt. Manchmal hilft er mir gegen die Einsamkeit.«
    Damit hatte sie Franny völlig überrumpelt. Nachdem Franny sich an Sean derart die Finger verbrannt hatte, hatte sie jeden Gedanken an eine Romanze aus ihrem Kopf verbannt. Sie war gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass Annie anders empfinden könnte.
    Jetzt nickte Franny ihm kühl zu. »Wo ist Annie?«
    Liam rülpste wieder, und diesmal war ihm Franny so nahe, dass ihr der saure Geruch von eingelegten Zwiebeln, Fleisch und Bier entgegenschlug. »Die ist noch mal schnell zum Laden rüber.«
    Franny schluckte heimlich. Bei Liam bekam sie unweigerlich eine Gänsehaut, und sie war äußerst ungern mit ihm allein. Er hatte nichts getan, was ihren Abscheu gerechtfertigt hätte, doch sie ahnte, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis etwas geschah.
    Sie beugte sich vor, um die Badewanne zu säubern, und hörte im selben Moment, wie der Stuhl über den Boden schabte. Sie hatte gehofft, dass Liam aufgestanden war, um zu gehen, aber stattdessen spürte sie eine Sekunde später seine kräftige Hand auf ihrem Hintern.
    »Genau, wie ich’s mir dachte, rund und fest«, murmelte er und drückte eine Backe, bevor er die Hand in die Ritze rutschen ließ.
    Blitzschnell richtete sie sich auf, fuhr herum und schlug seine Hand weg. Aus ihren Augen blitzte Hass.
    »Tu das nie wieder!«, zischte sie und entfernte sich aus seiner Reichweite.
    Aber Liam grinste nur über ihre giftige Drohung und entblößte dabei zwei Reihen faulig brauner Zähne mit einem halb zerkauten Brotkanten dazwischen.
    »Ach, komm schon, Kleine. Du verstehst doch einen Spaß, oder?«
    Franny starrte ihn voller Verachtung und Abscheu an, dann drehte sie sich um und ging.

Kapitel 7
    Es war ein Dienstag, gewöhnlich der ruhigste Wochentag im Victory Club, aber trotzdem schien die Luft zu prickeln, als Franny an diesem Abend zur Arbeit erschien. In der Umkleide wurde aufgeregt geschnattert, und die Mädchen kämpften noch erbitterter um einen Platz vor dem Spiegel als sonst. Schon bald hatte Franny erfahren, warum alle so überspannt waren: Der Filmstar Duke Carter saß im Publikum. Cool, charismatisch und charmant, wie er war, brachte er die Kinokassen zum Klingeln und die Herzen zum Pochen.
    Franny spähte durch den Bühnenvorhang und sah sieben Gäste mit dem Schauspieler am Tisch sitzen; drei weitere Männer mit weißer Fliege und dazu zwei sehr junge Frauen in billigen, aber umso offenherzigeren Cocktailkleidern. Paula, eines der Showgirls, klärte Franny auf: Duke war nach England gekommen, um einen großen Historienfilm über den englischen Bürgerkrieg zu drehen.
    »Die Mädchen sind niemand, das sind nur angeheuerte Flittchen«, meinte Paula abwertend. Dann deutete sie mit dem Finger auf die drei Männer und zeigte ihr den Regisseur, einen großen, dünnen, angespannt aussehenden Mann namens Landon Taylor, und den zweiten männlichen Hauptdarsteller Earl Fox, eine Arme-Leute-Version von Duke. Schließlich wanderte ihr Finger weiter zum Letzten, einem kleinen Fetten mit Ansatz zur Glatze. »Und das ist Clifford Walker, der kommende Produzent bei Juniper

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