Die vergessene Frau
heute geplanter Auftritt nicht besonders aufregend: Sie sollte ein Medley aus Liedern von Judy Garland und Doris Day vortragen; in ihrem schlichten Blumenkleid würde sie das nette Mädchen von nebenan geben. Damit würde sie wohl kaum die Blicke eines berühmten Produzenten auf sich lenken.
Franny brütete noch über ihrem Problem, aber gleichzeitig wanderten ihre Augen zu dem Schminktisch neben ihrem. Neben dem Spiegel hing ein Cocktailkleid aus schwarzer Spitze. Es gehörte einer der besten Sängerinnen im Club: Dawn Morris. Sie war ausgesprochen eigen mit ihren Kostümen und ließ niemanden auch nur in die Nähe. Allerdings arbeitete sie nur am Wochenende und war damit heute nicht hier, und das bedeutete, dass sie es nie erfahren würde, wenn Franny ihr Kleid für einen Auftritt »auslieh«.
In Frannys Kopf nahm eine Idee Gestalt an. Sie war als Nächste dran, also musste sie sich beeilen. Eilig schlüpfte sie in Dawns Kleid, kämmte dann ihr Haar aus und schminkte sich als Vamp. Dann ging sie zu Jamie und erklärte ihm, dass sie heute etwas anderes singen würde als geplant. Statt des fröhlichen Medleys, das sie eigentlich zum Besten geben sollte, wählte sie eine erotische Nummer von Mae West. Erst als die ersten langsamen Saxofonklänge über die Bühne wehten, schlenderte sie hüftschwenkend auf die Bühne und nahm ihren Platz hinter dem Mikrofon ein.
Das Kleid war Franny eine Nummer zu klein und schien sich wie eine zweite Haut an ihren Körper zu schmiegen. Eigentlich war es ein züchtiges Ensemble mit hohem viktorianischem Kragen und langen Ärmeln, aber da die Spitzen jede von Frannys Rundungen nachzeichneten, wirkte es fast durchsichtig, wenn sie im Scheinwerferlicht stand.
Auf der Bühne spürte Franny, wie gebannt die Blicke aller Männer ihr folgten. Doch sie konzentrierte sich ausschließlich auf Clifford Walker. Sie schaute ihm direkt in die Augen und begann In the Mood For Love zu singen.
Sie sang ausschließlich für ihn, ihr Lied war eine einzige lange Verführung. Nach der ersten Strophe nahm sie das Mikrofon aus dem Ständer und schlenderte damit durch das Publikum. Damit nicht allzu offensichtlich war, wen sie sich als Ziel auserkoren hatte, blieb sie unterwegs mehrmals stehen, flirtete im Vorbeigehen mit ein paar Männern oder strich mit der Federboa über ihren Hals. Als sie an Cliffords Tisch kam, konnte sie sehen, dass er sie wie hypnotisiert beobachtete und in ihrer Aufmerksamkeit badete. Sie ließ sich auf seinem Knie nieder und sang ihn mit der dritten Strophe direkt an, so als wäre er ihr Geliebter, und sie meinte jedes Wort aufrichtig. Sie senkte ihre Wimpern, wenn sie ihn ansah, und schenkte ihm ein verstohlenes kleines Lächeln.
Kurz vor dem Ende des Stücks strich sie mit einem Finger über seine Wange, stand dann auf und schwebte zurück auf die Bühne. Bei der letzten Zeile schaute sie ihm noch einmal tief in die Augen und strich dabei anzüglich mit dem Finger über den Mikrofonständer. Sie fing seinen Blick auf, und in dem Moment wusste sie, dass er angebissen hatte.
Tatsächlich saß sie gerade seit fünf Minuten in der Umkleide, als ein Bühnenhelfer angelaufen kam. »Ein Gast an einem Tisch hätte gern, dass Sie ihm Gesellschaft leisten. So ein Amerikaner.«
»Gut.« Dem ersten Triumphgefühl folgte ein kurzes Nervenzittern. Noch hatte sie nichts erreicht. »Sagen Sie ihm, ich komme gleich.«
Franny eilte nicht sofort an Clifford Walkers Tisch. Stattdessen frischte sie ihr Make-up auf, denn sie wollte auf keinen Fall übereifrig wirken. Als sie schließlich in den Gastraum trat, hatte sich der Rest der Gruppe diskret auf die Tanzfläche zurückgezogen, und Clifford saß allein am Tisch.
Clifford Walker beobachtete, wie das Mädchen hüftschwingend auf ihn zukam. Sie hatte etwas an sich. Sie war sexy, ohne dabei billig zu wirken; eine Braut mit Klasse, auf die es sich zu warten lohnte.
»Mr Walker?«, fragte Franny mit tiefer, rauchiger Stimme.
Er erhob sich, um sie zu begrüßen. Er war ein paar Zentimeter kleiner als sie, und die Jacke spannte über seinem runden Bauch. Dunkle Haare kräuselten sich aus seinem Hemdkragen. Kein Wunder, dass die anderen Mädchen sich auf Duke stürzten.
»Miss Healey.« Sein Blick tastete sie ab, dann nickte er genüsslich, so als fände er bestätigt, dass sie genauso gut aussah wie in seiner Erinnerung. »Danke, dass Sie mir Gesellschaft leisten.«
»Es ist mir ein Vergnügen«, sagte sie.
Er wartete, bis sie saß, und
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