Die vergessene Frau
an den Poolrand und ging in die Hocke, um sich anzuhören, was sie ihm zu sagen hatte. Franny hatte schon geahnt, was ihre neue Freundin im Schilde führte. Und sie hatte recht: Lily packte Duke am Knöchel und zog ihn ebenfalls in den Pool. Er tauchte lachend wieder auf und begann sofort, sein Hemd aufzuknöpfen, während drei weitere Gäste – zwei Starlets, deren Namen Franny vergessen hatte, und ein berühmter Drehbuchautor – sich ebenfalls auszogen.
Franny merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie sah Hunter an, um seine Reaktion abzuschätzen. Aber er wirkte ganz entspannt, so als wäre so etwas ganz alltäglich.
Er nickte zum Pool hin und fragte: »Wie steht’s?«
»Also, ich weiß ja nicht …«
Doch Hunter hörte ihr schon nicht mehr zu. Er nahm sie an der Hand und zog sie auf die Terrasse. Ohne sich darum zu scheren, wie peinlich ihr das war, stieg er aus seinen Sachen. Dann drehte er sich nackt zu ihr um.
»Kommst du?«
Sie wandte das Gesicht ab. Sie hatte sich eigentlich nicht für besonders prüde gehalten. Als sie mit Clifford geschlafen hatte, um sich ihren Traum zu erfüllen, hatte sie eine Grenze überschritten, vor der die meisten Menschen zurückgeschreckt wären. Das hier kam ihr allerdings noch dekadenter vor.
»Vielleicht später.«
Achselzuckend hüpfte er zu den Übrigen in den Pool und ließ Franny allein am Rand zurück. Sie wusste nicht, ob sie sich ein Taxi rufen und von hier verschwinden sollte. Aber irgendwie brachte sie es nicht fertig zu gehen. Die Party war einfach zu schön. Verstohlen schaute sie auf den Pool. Dampfschwaden stiegen aus dem Wasser auf, die der Nacht etwas Träumerisches verliehen und gleichzeitig einen Hauch von Anstand über das Bild legten. Alle traten Wasser, und fünf Gesichter sahen erwartungsvoll zu Franny auf, wobei alle sie abwechselnd aufforderten, endlich in den Pool zu kommen.
»Mach schon, Fran!«
»Das Wasser ist wunderbar!«
»Worauf wartest du noch?«
Vom Poolrand sah Franny auf die Schwimmer hinab. Sie schienen sich königlich zu amüsieren. Und immerhin war sie dafür hergekommen, oder? Damit sie nicht mehr nur überlebte, sondern endlich wirklich lebte! Sie war jetzt fünfundzwanzig: Wer wusste schon, ob sich ihr je wieder eine solche Gelegenheit bieten würde, wenn sie diesen Moment verstreichen ließ? Sie hatten recht – worauf wartete sie noch?
Angespornt von lautem Klatschen, Jubelrufen und Wolfsgeheule stieg Franny aus ihren Schuhen, löste den Reißverschluss ihres Kleides und hakte, nach kurzem Zögern, ihren Büstenhalter auf. Als sie schließlich komplett nackt am Beckenrand stand, vor fünf erwartungsvollen Gesichtern, mit im Mondschein glänzender elfenbeinfarbener Haut, erkannte Franny überrascht, dass sie sich weder genierte noch schämte, nicht einmal für die winzig kleinen Streifen, die nach Caras Geburt auf ihrem Bauch und ihren Schenkeln zurückgeblieben waren. Stattdessen fühlte sie sich eigenartig befreit. Endlich war ihre Zeit gekommen, und sie würde das Beste daraus machen.
Sie nahm Anlauf, sprang und tauchte kopfüber in den Pool.
ZWEITER TEIL
1956–59
Gute Vorsätze
»Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.«
SPRICHWORT
Kapitel 16
Franny drückte das Gaspedal durch und freute sich daran, wie der Wagen mit lautem Röhren über den Hollywood Freeway schoss. Nichts war so befreiend wie eine Fahrt durch die Nacht, bei der sie mit offenem Verdeck in ihrem Pontiac über die leeren Straßen brauste. Sie liebte es, wie die warme kalifornische Luft über ihre Wangen strich und wie der Fahrtwind in dem Kopftuch raschelte, das ihre Frisur schützte. In solchen Momenten schien ihr die ganze Welt zu gehören.
Jener Abend im Ciro’s hatte Frannys Leben umgekrempelt. In den zwei Jahren, die seither vergangen waren, war sie zum Star aufgestiegen. Ihre Rolle in der Scheinhochzeit hatte sie auf die Straße zum Weltruhm geführt. Natürlich hatte vor allem Lily Powell Schlagzeilen gemacht, aber Franny hatte als geldgierige Krankenschwester ihr komödiantisches Timing bewiesen und war mehrfach lobend erwähnt und als »bemerkenswerte Einsteigerin« bezeichnet worden, die man »im Auge behalten« müsse.
Bestärkt durch diese positiven Kritiken ließ Lloyd sie es mit einer Hauptrolle versuchen: Es ging zwar nur um einen Monsterfilm, eine lachhafte Story über eine Riesenschlange, die New York terrorisiert, doch Franny meisterte ihre Rolle als Jungfer in Nöten mit Bravour. Nachdem Lloyd
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