Die vergessene Frau
gesehen hatte, wie gut sie auf der Leinwand wirkte, beschloss er, sie in dem Westernepos Der Revolverheld auszuprobieren. Sie war wie geschaffen für die Rolle der beherzten, leidenschaftlichen Pastorentochter, die einen Exsträfling anheuern muss, um das wasserreiche Land ihres Vaters gegen einen gierigen Viehbaron zu verteidigen. Als Der Revolverheld an der Kinokasse einschlug, wurde das auch auf ihr Talent zurückgeführt.
Daraufhin nahm das Studio Franny fest unter Vertrag und erhöhte ihr Honorar auf tausend Dollar pro Woche. Mit ihren roten Haaren, den grünen Augen und dem elfenbeinfarbenen Teint wurde sie natürlich oft mit Maureen O’Hara verglichen. Das Studio nützte die Ähnlichkeit aus und besetzte sie vor allem als tapfere und moralisch unangreifbare Heldin. Die von ihr gespielten Figuren waren feurig, aber empfindsam; leidenschaftlich und sinnlich, ohne dabei unmoralisch zu wirken; und jedem Mann ebenbürtig, ohne dass sie dabei unweiblich gewirkt hätten.
Franny nutzte die Gehaltserhöhung, um aus dem wanzenverseuchten Motel in ein kleines Häuschen am Wilshire Boulevard zu ziehen. Es war eine typische Starlet-Wohnung, ein opulentes, bestechendes Apartment voller Lackmöbel, Kristalllüster und Zierspiegel. Außerdem gönnte sie sich ein Pontiac-Cabriolet in hübschem Silberblau. Das Studio stellte ihr zwar einen Wagen mit Fahrer, doch sie liebte das Gefühl von Freiheit, wenn sie selbst hinter dem Lenkrad saß, und so sah man sie oft mit offenem Verdeck und wehender Mähne über den Wilshire Boulevard ostwärts auf die strahlenden Lichter der Innenstadt zubrausen.
Pass auf, sonst verpasst du die Ausfahrt! Der Gedanke riss Franny aus ihren Erinnerungen. Sie bog scharf rechts ab auf den Hollywood Boulevard und verlangsamte, als sie ihr Ziel sah: das Musso & Frank. In den vergangenen zwei Jahren war sie zum Stammgast in dem berühmten Restaurant geworden. Sie hielt davor an, schaltete den Motor aus und streifte die ledernen Handschuhe ab. Sie klappte ihre Handtasche auf, um sie hineinzuwerfen, stockte jedoch. Dort, direkt neben ihrem Chanel-Schminketui, klemmte ein Brief von Cara, den sie noch schnell eingesteckt hatte, bevor sie das Haus verlassen hatte. Als sie den Umschlag mit der krakeligen Handschrift sah, quälte sie sofort das schlechte Gewissen, so wie jedes Mal, wenn sie an ihre Tochter dachte.
Der einzige Makel in Frannys sonst perfektem Leben war, dass Cara nicht bei ihr sein konnte. Franny ertrug es kaum, von ihrem Kind getrennt zu sein. Sie vermisste Cara schrecklich, und sie las aus den Briefen ihrer Tochter, wie unglücklich sie war. Je mehr Monate verstrichen waren, desto heftiger hatte sich das Mädchen beklagt, dass es bei seiner Großmutter wohnen musste. Immer wieder hatte Cara geschrieben, wie langweilig es bei ihrer Großmutter sei und dass ihr Danny und die Connollys fehlten – und natürlich ihre Mutter. Am Ende jedes Briefes fragte sie regelmäßig, wann Franny zurückkehren würde.
Darauf wusste Franny nie eine Antwort. Sie hatte nie vorgehabt, so lange von ihrer Tochter getrennt zu bleiben. Aber die letzten zwei Jahre waren verflogen, ohne dass sie es recht bemerkt hatte. Hier in Hollywood raste das Leben nur so dahin – immer war etwas los, ständig wechselten sich Dreharbeiten, Partys und öffentliche Auftritte ab. Und sie konnte unmöglich einfach verkünden, dass sie eine Tochter hatte, so viel war ihr inzwischen klar geworden. Durch McCarthys Hexenjagd war das Klima in Amerika deutlich konservativer geworden: Nachdem ihre gesamte Karriere darauf beruhte, dass sie eine moralisch unanfechtbare Heldin spielte, hatte sie Angst, dass die Zeitungen sie in der Luft zerreißen würden, sobald sie von ihrer unehelichen Tochter erfuhren. Es wäre das Ende ihrer Karriere, und sie ertrug die Vorstellung nicht, auf all das verzichten zu müssen, wofür sie so erbittert gekämpft hatte.
Denn wenn sie ehrlich zu sich war, war sie für ihr Leben gern Schauspielerin. Natürlich genoss sie auch die Früchte ihres Erfolges – die Wohnung und den Wagen, die Pelze und den Schmuck –, aber nicht deshalb blieb sie in Hollywood. Sie blieb hier, weil sie immer noch jedes Mal ein Flattern in der Magengrube spürte, wenn sie vor die Kamera trat. Und sie war nicht nur gern Schauspielerin, sie war auch gut. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie wirklich respektiert, und das wollte sie auf keinen Fall aufgeben.
Gleichzeitig wollte sie nicht länger von Cara getrennt bleiben. Sie musste
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