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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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sie die gleiche Statur hatten – beide waren knapp über einen Meter sechzig groß und üppig gebaut –, hätten sie als Zwillinge durchgehen können und unterschieden sich nur durch ihre Haarfarbe: die Blondine und die Brünette auf Abenteuersuche.
    In der Studiogarage hatte Lily einen reservierten Stellplatz, auf dem ihr Corvette-Cabrio stand.
    »Mach dir nichts draus, Kleines«, sagte die blonde Schauspielerin, als sie bemerkte, wie neidvoll Franny auf den Wagen sah. »So eine Kutsche hast du bald auch. Da bin ich ganz sicher.«
    Es war nur ein kurzer Weg von den Studios nach West Hollywood und zum Sunset Strip, jenem kurzen Abschnitt des Sunset Boulevard, an dem die Reichen und Berühmten feierten. Die Gegend verdankte ihren Aufschwung der Tatsache, dass sie knapp außerhalb der Stadtgrenzen von Los Angeles lag, weshalb während der Prohibitionszeit Nachtclubs und Kasinos hierher umgesiedelt waren, um dem strengen Auge des LAPD zu entkommen. Seit den Dreißigerjahren waren die schicken Clubs und teuren Restaurants ein Tummelplatz der Stars und Sternchen und der Mächtigen der Filmindustrie. Jetzt, um zehn Uhr abends an einem Freitag, herrschte auf dem Strip – wie Lily ihn nannte – Hochbetrieb. Das Ciro’s war voller als sonst. Zurzeit war Herman Hoovers Nachtclub das Lokal schlechthin in Hollywood, in dem sich alle großen Namen trafen. Hier ging Lana Turner am liebsten hin; Mickey Rooney hatte hier seinen Geburtstag gefeiert; und erst in diesem Jahr hatte Frank Sinatra dort einen Empfang gegeben, um das Comeback von Sammy Davis junior zu würdigen.
    Lily reihte sich in die Schlange der Cadillacs und Lincolns ein, die auf den Parkservice warteten. Als sie an der Reihe waren, warf sie den Schlüssel einem jungen Mann in Livree zu, der fast zu jung für eine Rasur wirkte, und drehte sich dann zu Franny um.
    »Na, dann los, Herzchen. Wir werden schließlich nicht jünger.«
    Mehr Ermutigung brauchte Franny nicht. Sie stieg aus dem Wagen in die warme Abendluft und versuchte, sich jede Kleinigkeit einzuprägen, weil sie immer noch kaum glauben konnte, dass sie es tatsächlich hierher geschafft hatte.
    Von außen präsentierte sich der Club in dezenter Eleganz: An dem schwarz gestrichenen Flachbau war nur ein weißes Neonschild mit dem Namen angebracht. Innen war das anders. Hier herrschte Hollywoodglamour alter Schule, der sich in überladenem, luxuriösem Barockdekor zeigte: Die Wände waren mit Seidentapeten bespannt; die Band spielte auf einem von Samt eingefassten Podium; winzige bunte Lämpchen drehten sich funkelnd im schummrigen Licht. Alle Anwesenden hatten sich herausgeputzt, vor ihnen lag ein Meer von Pailletten und Pelzen, langen Glacéhandschuhen und Zigarrenrauch. Spärlich bekleidete Kellnerinnen tänzelten lächelnd durch die Menge.
    In der Lobby nahm ein langbeiniges Mädchen in kurzem Röckchen und hohen Absätzen ihre Pelzstolen entgegen. Das hätte ich im Victory Club sein können, dachte Franny. Es war ein gutes Gefühl, endlich auf der anderen Seite zu stehen. Ehe sie sich allzu sehr in Erinnerungen verlieren konnte, nahm Lily ihre Hand.
    »Jetzt stelle ich dir die Gang vor.«
    Lilys »Gang« bestand aus einigen der zurzeit berühmtesten Namen im Filmgeschäft. Sie, das stets gut gelaunte Partygirl, war im Lauf der Zeit zur Bienenkönigin in dieser von der Presse als »Schwarm« titulierten Clique aufgestiegen – einer Gruppe junger, begehrter Schauspieler, die ständig beim Feiern abgelichtet wurde. Und immer wenn einer aus dem Kreis einen neuen Film herausbrachte, begannen auf wundersame Weise Gerüchte über die inzestuösen Romanzen und Rivalitäten innerhalb der Gruppe zu zirkulieren.
    Franny erkannte jedes der vier Gesichter am Tisch wieder. Darunter waren zwei Frauen: Emily Apple, ein ehemals pausbäckiger, lockiger Kinderstar, die zur halb verhungerten, melancholisch wirkenden Brünetten herangewachsen war, und Helena Harris, eine ernste Charakterdarstellerin mit rabenschwarzem Haar und schmalem Gesicht. Zurzeit wurde sie heiß gehandelt, nachdem sie Anfang des Jahres den Oscar als beste Schauspielerin bekommen hatte. Die Auszeichnung hatte man ihr für ihre Rolle als Direktorin einer Mädchenschule verliehen, deren Strenge schon psychopathische Züge hat. Emily und Helena begrüßten Franny jeweils mit einem kurzen »Hallo«, aber beide schienen sich nicht besonders für sie zu interessieren – sie waren offensichtlich miteinander beschäftigt. Die Männer reagierten ganz anders.

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