Die vergessene Frau
Gefühl gar nicht. Sie hatte aufmerksam den ausgiebigen Vorhaltungen ihres Studiochefs gelauscht und vor Angst eine Gänsehaut bekommen, als er ihr erklärt hatte, dass er sich auf die Moralklausel in Frannys Vertrag berufen und sie von der Besetzungsliste des Studios streichen würde, falls so etwas jemals wieder vorkommen sollte.
»Wenn sich die Presse erst einmal auf jemanden eingeschossen hat, kann man bei den Reportern nur schwer wieder gut Wetter machen«, warnte er sie.
»Aber die Zeitungen lieben mich!«, warf sie ein, weil sie fand, dass er mit seiner Kritik übertrieb.
»Sie werden dich nicht mehr lange lieben, wenn du so weitermachst.«
Als Franny das hörte, packte sie wieder die Angst. Wenn die Presse sie fallenließ, läge auch ihre Karriere am Boden. Sie senkte den Blick und bemühte sich, Lloyd zu beschwichtigen. »Noch einmal, es tut mir schrecklich leid. Ich verspreche dir, dass wir nie wieder so ein Gespräch führen müssen.«
»Gut. Dann ziehen wir einen Strich unter die ganze Geschichte. Allerdings habe ich keine Ahnung, was ich jetzt mit dir anfangen sollte. Eigentlich hatte ich dich für einen zweiten Film mit Duke vorgesehen, aber das hat sich damit erledigt.«
Franny murmelte eine weitere Entschuldigung, doch Lloyd tat so, als hätte sie gar nichts gesagt.
»Im Moment habe ich wenig, was zu dir passen würde«, meinte er. »Natürlich gäbe es da Die schwarze Rose …«
Sofort spitzte Franny die Ohren. Sie hatte schon von der Schwarzen Rose gehört, einem Film Noir, der im London des Zweiten Weltkriegs spielen sollte. Die weibliche Hauptrolle war eine Sängerin in einem Nachtclub, die vielleicht als Doppelagentin arbeitete, vielleicht aber auch nicht. Normalerweise hätte die Rolle sie nicht interessiert, diesmal war das jedoch anders, wenn auch nur aus einem einzigen Grund: Der Film sollte in England gedreht werden, und das hieß, dass sie endlich ihre Tochter wiedersehen würde.
»Aber ja.« Sie gab sich Mühe, nicht zu übereifrig zu wirken. Falls Lloyd ahnte, welcher Gedanke sie antrieb, würde er keinesfalls zulassen, dass sie in diesem Film mitspielte. »Stimmt. Ich finde, die Rolle klingt gut.«
»Eigentlich ist es nicht die Art von Rolle, die wir gewöhnlich mit dir besetzen«, sinnierte Lloyd. Der Studiochef sah sie scharf an. »Du weißt, dass wir in London drehen?«
»Ja.« Sie schaute ihn leidenschaftslos an. »Gerade darum wäre es ideal für mich. Damit könnte ich von hier verschwinden, bis sich die Aufregung gelegt hat.«
Lloyd musste zugeben, dass das vernünftig klang. Stirnrunzelnd sagte er: »Ich werde darüber nachdenken.«
Kapitel 17
Es war für Franny ein merkwürdiges Gefühl, wieder in London zu sein. In ihrer Erinnerung war diese Stadt mit Armut verbunden. Jetzt war sie im Triumph heimgekehrt: Sie wohnte diesmal selbst im Savoy und verkehrte in den elegantesten Clubs.
Sechs Wochen sollte sie dort bleiben. Trotz des Wetters – unablässigem Regen und dichtem, alles durchdringendem Nebel – waren die Dreharbeiten für Die schwarze Rose bald abgeschlossen, und sie hatte das Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben. Sie war es leid, immer nur hochherzige Frauen darzustellen, und genoss es, eine Figur mit mehr Biss zu spielen. Der Regisseur äußerte sich begeistert über die ersten Filmabzüge, und der Londoner Nebel – der seit damals anscheinend noch penetranter geworden war – verlieh den Außenaufnahmen zusätzlich Atmosphäre.
Und dann war der Zeitpunkt gekommen, ihre Tochter wiederzusehen.
Franny hatte die Zusammenführung bis ins letzte Detail organisiert. Nachdem sie nicht lange in Europa bleiben würde, hatte sie Theresa gebeten, Cara zu ihr nach England zu bringen. Natürlich musste ihr Treffen um jeden Preis geheim bleiben. Darum hatte Franny beschlossen, dass sie sich nicht in London treffen sollten, sondern für eine Woche ein Zimmer im Grand Hotel in Brighton gebucht. Es wäre zu schön, dachte sie, wenn Cara einmal am Meer Urlaub machen könnte. Sie reservierte unter Theresas Namen und brachte genug Geld mit, um die Zimmer bar bezahlen zu können. Diese Woche wollte sie ganz anonym bleiben, ein ganz normaler Mensch sein.
Vorausschauend kaufte sie ein paar alte Sachen, eine Lesebrille und eine schlammbraune Perücke – nichts, was Aufmerksamkeit erregen würde. An ihrem letzten Tag im Savoy nahm sie die komplette Verkleidung mit zum Frühstück und verschwand mitten unter dem Mahl in die Damentoilette, wo sie sich umzog. Sie änderte
Weitere Kostenlose Bücher