Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen
Heimat, mit Bomben, mit Hunger, mit Not, mit Scham, ein Flüchtling, also Außenseiter zu sein, mit der Verunsicherung der Eltern und dass sie keinen Halt geben können, zu tun hat, mit den alltäglich erfahrenen Nöten eines kleinen Kindes eben? Brigitte Lueger-Schuster aus Wien und ihre Arbeitsgruppe befassen sich mit Kindern aus dem Kosovo. Sie beobachten, wie sehr diese Kinder auf die Eltern achten, ihr eigenes Leiden verbergen, sich gut benehmen und keine Probleme zu haben scheinen. Brigitte Lueger-Schuster sagt: Die Kinder, die keine Probleme haben, das sind die, um die wir uns sorgen, diese braven, angepassten.
Waren wir nicht auch so brave, angepasste Kinder? Aufbegehrt haben wir viel später. Es stimmt, später haben wir gegen unsere Eltern gekämpft, aber wir haben uns nicht um das verlorene Kind in uns gekümmert.
In der Traumaforschung ist allgemein vieles in Bewegung,und fast täglich kommen neue Erkenntnisse hinzu. Das Thema »Kriegskinder« ist im öffentlichen Diskurs wenig bekannt.
Es gibt verschiedene Gründe, warum kriegsbedingte Belastungen bei den deutschen Kriegskindern kaum wahrgenommen wurden. Der Hauptgrund hat wohl mit der Tatsache zu tun, dass die Bearbeitung dessen, was die Deutschen in der Nazizeit angerichtet haben, im Bewusstsein der Deutschen – und selbstverständlich ihrer Opfer – Vorrang hatte. Und das bleibt auch gültig, es ist nur logisch.
Dennoch: Wie jeder weiß, waren die Kriegskinder keine Täter. Wie kommt es, dass es uns bisher nicht möglich war, die Kinder aus deren eigener Perspektive zu betrachten? Es wird nötig sein, das zu tun, und dafür unternimmt Sabine Bode mit ihrem Buch einen bedeutsamen Schritt. Ich möchte eine Hypothese wagen: Man hat uns wissen lassen, dass unsere Eltern »Verbrecher« waren oder »Mitläufer«, jedenfalls keine »guten Menschen«. Es hat niemanden, auch uns selbst nicht, interessiert, was das dem Kind – später dem Kind in uns – ausgemacht hat. Wir haben das geschluckt. Wir waren verwirrt, und was wir auch dachten und taten, es war falsch. Wenn wir die Täterseite in unseren Eltern sahen, dann übersahen wir, dass sie auch Opfer waren, jedenfalls viele. Wenn wir die Opferseite sahen, dann übersahen wir ihre Täterseite.
Man braucht viel innere Arbeit, um beides innerlich auszuhalten. Wir, die Kinder der »Täter« und »Mitläufer«, müssen uns heute erlauben, aus der verinnerlichten Sippenhaft herauszutreten und unser eigenes Leben zu wagen. Wir haben uns durch diese verinnerlichte Sippenhaft eines Stücks unseres ureigensten Lebens beraubt. Und es scheint mir an der Zeit, dass wir uns dieses unser Leben zurückholen. Wir werden den Teil, der nicht zu uns gehört, innerlich unseren Eltern zurückgeben müssen und lernen, die Scham und die Trauer zu ertragen, dass sie nicht die Eltern waren, die wir uns wünschten.
In den vergangenen Jahren ist mir in meiner therapeutischen Arbeit immer deutlicher geworden, dass es zwar inzwischen möglichist, sich mit individuellen Traumata zu beschäftigen, dass es aber ein gesellschaftliches Tabu ist, mit dem noch immer viele identifiziert sind, über die kollektiven Traumatisierungen, die der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit mit Hunger, Kälte und Vertreibung mit sich brachten, nachzudenken.
Der bekannte amerikanische Traumaforscher Peter Levine hat eine Liste von Traumatisierungen zusammengestellt, unter denen Kinder leiden können, auch wenn Erwachsene diese nicht als Traumata erkennen. Dazu gehören z. B. Hunger, Kälte, »Verlorengehen«, Umzug, und er spricht noch gar nicht einmal von Verlust der Heimat durch Vertreibung.
Wir wissen, dass psychische Belastung der Eltern für Kinder ein hohes Risiko bedeutet. Wie viele Eltern der Kriegskinder hatten eine posttraumatische Belastungsstörung?
Was geschieht, wenn das Kind täglich katastrophalen Kriegsereignissen ausgesetzt ist, wenn es miterlebt, dass andere, womöglich ihm nahestehende Menschen getötet und verstümmelt werden, dass Erwachsene, die Schutz bieten sollten, verschwinden, selbst dekompensieren und dadurch psychisch verschwinden? Je nach Alter wird dieses Kind mit Rückzug, Depression, Ess- und Schlafschwierigkeiten, übertriebenem Anklammern, Ängsten, Alpträumen, Einnässen und Einkoten, um nur einige Symptome zu nennen, reagieren.
Es könnte auch geschehen, dass dieses Kind während der traumatischen Erfahrung »abschaltet«, sich so verhält, als sei das alles nicht wahr, als geschehe es nicht wirklich, und
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