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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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bei Kindern umfangreiche Untersuchungen angestellt, und zwar bei den Jahrgängen 37/38 und 45/46. Dass man sich dabei auch für die Spuren eventueller Kriegsfolgen interessiert hätte, ist in der langatmigen Einleitung mit keinem Wort erwähnt.
    In diesem Projekt, finanziert aus dem Marshall-Plan, wurden die Daten von 4400 Schülern ausgewertet. Aber welche Daten? Am auffälligsten sind endlose Tabellen mit Zahlen, die Auskunft über die Durchschnittswerte von kindlichen Körperteilen geben. Aus heutiger Sicht erscheint es fast wie eine Besessenheit, wie die Kinderleiber bis ins kleinste Detail vermessen und die Ergebnisse penibel aufgelistet wurden, um sie mit der kretschmerschen Typenlehre in Einklang zu bringen und um diesen Typen wiederum die diversen Krankheiten zuzuordnen.
    Auch damals schon mag einigen Menschen die wissenschaftliche Methode mit Waage und Zentimeterband nicht recht eingeleuchtet haben, und so glaubt man einen kleinen Seufzer zu hören, wenn man nachliest, wie sich dazu Barbara Klie in »Christ und Welt« äußerte: »Der Laie, Vater, Mutter, ja selbst der Lehrer wird sich wenig darum kümmern, wieviel Prozent der deutschen Kinderschar nach der Typenlehre von Kretschmer den schlanken Leptosomen, den großgewachsenen Athletikern oder den kleinen, runden Pyknikern zuzuzählen ist oder ob die Gruppe häufiger als die andere von Ziegenpeter befallen wird.«
    Und hier die wenigen, heute noch aussagekräftigen Ergebnisse:
Jedes vierte Nachkriegskind hat kein eigenes Bett.
36 Prozent haben ein gesundes Gebiss, das heißt, bei zwei Dritteln ist das nicht der Fall.
10 Prozent haben Scharlach, 6 Prozent Diphtherie überstanden.
Ein Kind aus ärmlichen Verhältnissen, was überwiegend auf die Flüchtlinge zutrifft, bringt deutlich die besseren Schulnoten nach Hause – schneidet aber dann schlechter ab, wenn mit Fleiß allein nichts mehr auszurichten ist.»Das gibt uns einen tiefen Einblick in den Mechanismus von Druck und Anpassung«, schreibt Barbara Klie weiter. »Nicht ohne Bewegung erkennt man hinter den Zahlenreihen und aufgefädelten Prozentziffern die Gestalt des vom Glück mißachteten Kindes, das in Leichtigkeit und Phantasie schon früh einen Luxus, ja einen Ballast zu sehen gelernt hat und dennoch an dem Mangel krankt.« Man spürt, dass das Herz der Autorin für die benachteiligten Nachkriegskinder schlägt, von denen viele »im frühesten Alter Flucht, Lager und Bunkerzeiten mitgemacht« haben.
»Heute dümmer als früher?«
    Ein Jahr später griff »Die Welt« das Bildungsthema noch einmal auf, indem sie in einer Schlagzeile fragte: »Sind Kinder heute dümmer als früher?« Der Münchner Psychologe Albert Huth hatte in Tests 13 000 Kinder zwischen 13 und 15 Jahren befragt. Auf diese Weise war ein leichtes Absinken der Durchschnittsbegabung von 5 Prozent im Vergleich zur Vorkriegszeit herausgefiltert worden. Allerdings: Als es darum ging, einen aus mehreren Teilen bestehenden Holzwürfel wieder richtig zusammenzusetzen, zeigte sich vielfach ein auffällig unpräzises Wahrnehmungsvermögen. Resultat: Die dazu benötigte Zeit hatte sich bei den Jungen um 12 und bei den Mädchen um 33 Prozent verlängert. Was also das räumliche Vorstellungsvermögen betraf, blieben die Schülerinnen und Schüler gegenüber den Vorkriegskindern beträchtlich zurück. Huth sah darin teilweise die Folgen von belastenden Zeiten in der Vergangenheit, aber auch schon die der zunehmenden Reizüberflutung durch »Funk, Film und Fernsehen«.
    Ein Jahr zuvor hatte der Nordwestdeutsche Rundfunk einen bahnbrechenden Beitrag zum Verständnis der deutschen Jugend geleistet. In einer Hörerumfrage wurden die Jahrgänge von 1929 bis 1938 nach ihren Haltungen, Werten und Vorlieben befragt: die Kriegskinder im Visier der Soziologen. Dabei erfuhr man zwarnichts über mögliche noch über belastende Kriegsfolgen, aber die Spuren der Vergangenheit waren in ihren Einstellungen durchaus erkennbar.
    Aus heutiger Sicht klingen die Ergebnisse nicht besonders aufregend. Damals gerieten die Medien und Sozialwissenschaftler geradezu ins Schwärmen, weil es zum ersten Mal überhaupt gesicherte Erkenntnisse gab: Der Durchschnittsjugendliche, so hieß es, strebe einen sicheren Beruf an, vermeide Experimente, habe keine Angst vor einem neuen Krieg, liebe Sport und Unterhaltung, arbeite viel und beschäftige sich wenig mit Politik.
    Es war die Zeit, als sich die Jugend an der Universität noch siezte, als Studenten Anzüge und Krawatten

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